Die Reform von 1972

■ Ein Rückblick zum Ausgangspunkt des jetzigen Kultusministerstreits

Die von der Kultusministerkonferenz (KMK) getroffene „Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II vom 7.Juli 1972“ steht für eine Reform, die Schluß machen wollte mit der als zu starr empfundenen „Jahrgangsklasse“ und mit dem „Fächerkanon“ des herkömmlichen Gymnasiums. Die alte Gliederung wurde abgelöst durch ein Kurssystem, das die Möglichkeit bot, innerhalb eines Pflicht– und Wahlbereichs die Fächer selbst zu bestimmen. Die lediglich organisatorische Reform von 1972 machte alsbald eine Ergänzungsvereinbarung im Jahre 1973 nötig. Deren Ziel war es, „die Vergleichbarkeit der in der neugestalteten gymnasialen Oberstufe erworbenen Zeugnisse der allgemeinen Hochschulreife zu sichern und eine Vereinheitlichung der Maßstäbe für ihre Zuerkennung zu erreichen“. Die einzelnen Bundesländer gingen nun sehr unkoordiniert daran, den „Geist“ der Vereinbarung in die Tat umzusetzen - Bildungspolitik ist bekanntlich Ländersache. Die höchst unterschiedlichen Auslegungen und Organisationsformen machten denn auch die sogenannte „Lübecker Vereinbarung“ vom 2.Juni 1977 über die „einheitliche Durchführung der Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe“ erforderlich. Im Vergleich zum herkömmlichen Gymnasium wurde bundesweit die Palette möglicher Unterrichtsfächer erheblich erweitert. Es fanden Wissensbereiche Eingang, die zuvor nur in einigen wenigen gymnasialen Sonderformen auszumachen waren: zum Beispiel Rechtskunde, Psychologie, Soziologie, Ökonomie und Informatik. Trotz des universitären Charakters der gymnasialen Oberstufe sowohl im Leistungsniveau als auch in der Organisationsform stellte die Reform keineswegs lediglich auf die Erlangung der Studierfähigkeit ab. Die neugestaltete Oberstufe sollte ebenso den Weg zu einer beruflichen Ausbildung oder Tätigkeit bahnen. An vielen Stellen der diversen Vereinbarungen über die Reform ist nachweisbar, daß die Überwindung der radikalen Trennung von gymnasialer und beruflicher Bildung eine ihrer Grundideen war. Gerade in puncto „Studierfähigkeit“ kam es dann zur Kontroverse aus dem Jahre 1982. Zum damaligen Zeitpunkt hatten die Westdeutsche Rektorenkonferenz und die KMK in einer gemeinsamen Stellungnahme ihre Präferenzen für einen neuen „Kernbereich“ von Fächern kundgetan, die für den Besuch einer Universität unerläßlich seien: Deutsch, Fremdsprachen, Geschichte, Mathematik und die Naturwisssenschaften. In welchem Umfang diese Fächer bis zum Abitur geführt werden sollen, ist bis heute der Streitpunkt in der Konferenz der Kultusminister. det