Teilerfolg gegen Atomkraftwerk Cattenom

■ Straßburger Verwaltungsgericht: Genehmigungsverfahren für Cattenom 3 und 4 illegal / Leinen jubelt / Bürgerinitiativen fordern dagegen Stillegung aller Atomreaktoren

Von Felix Kurz

Saarbrücken (taz) - Das Urteil des Straßburger Verwaltungsgerichts hat alle Beteiligten überrascht. Zum ersten Mal nämlich hat ein französisches Gericht schwerwiegende Mängel in einem Genehmigungsverfahren für ein Atomkraftwerk attestiert. Für den umstrittenen Nuklearpark Cattenom, rund 50 Kilometer von Saarbrücken, Trier und Luxemburg entfernt, kamen die Richter zu dem Ergebnis, daß zumindest für die 1.300–Megawatt–Blöcke 3 und 4 die Ableitungsgenehmigungen für Einleitungen und Emmissionen radioaktiver Stoffe illegal sind. Den Grund sah das Gericht im Fehlen eines rechtmäßigen Verfahrens für die klammheimliche Erweiterung der Atomreaktoren, die ursprünglich als 900–Megawatt–Blöcke genehmigt, jetzt als 1.300Megawatt– Monster gebaut werden. Genau deshalb hatten die saarländische Landesregierung, zahlreiche Gemeinden aus Luxemburg und dem Saarland, die Stadt Trier und der Landkreis Trier–Saarburg gegen die 5.200Megawatt–Anlage vor dem Verwaltungsgericht, dem TribunalAdministratif in Straßburg, geklagt. Auch in einem weiteren Punkt folgten die Richter offentsichtlich den klagenden Parteien. Diese hatten verschiedene Verstöße gegen europäische Bestimmungen in der Planung der Blöcke 1 und 2 vorgebracht. So monierten sie, daß die Franzosen gegen Artikel 37 des Euratomvertrages verstoßen hätten. Dieser verpflichtet die Mitgliedsstaaten, der Kommission über jeden Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe aller Art die allgemeinen Angaben zu übermitteln. Die Frist beträgt dazu sechs Monate, die der französische Staat nicht beachtet hatte. Der saarländische Umweltminister Jo Leinen (SPD) jubelte über das Urteil, das ihn wohl selbst überrascht hat. Er wertete den Richterspruch, dessen Text noch nicht wörtlich vorliegt, als einen Erfolg der Landesregierung in ihren Anstrengungen, das von der Atomzentrale ausgehende Gefahrenpotential mit allen politischen Mitteln zu begrenzen. Dagegen warnte die Internationale Aktionsgemeinschaft gegen Cattenom, ein Zusammenschluß von rund 50 Bürgerinitiativen im Dreiländereck, vor allzu viel Optimismus. Auch sie begrüßte in einer ersten Erklärung jeden Stein, den man dem Betreiber Cattenoms, der Electricite de France (EdF) in den Weg legte. Doch bei den Bürgerinitiativen sieht man durch den Richterspruch lediglich eine Verzögerung im Ausbau der Atomzentrale und weniger einen endgültigen Stopp. Der Sprecher der Internationalen Aktionsgemeinschaft gegen Cattenom, Wolfgang Billen, vertrat gegenüber der taz die Auffassung, daß man die völlige Abschaltung Cattenoms nur durch politische Einflußnahme innerhalb Frankreichs und von außen auf den Nachbarstaat und nicht durch ein Gerichtsurteil möglich sei. Deshalb rufen die Bürgerinitiativen zu einer internationalen Demonstration für ein „Leben ohne Atom“ zum 20.6. nach Paris auf. Die luxemburgische Bürgerinitiative Museldal will gegen die Straßburger Entscheidung Rechtsmittel einlegen, weil sie auch bei den Blöcken 1 und 2 die gleiche Vorgehensweise beim Genehmigungsverfahren wie bei den beanstandeten Blöcken 3 und 4 vermutet. Die Luxemburger fordern nach wie vor die sofortige Schließung der Atomzentrale. Die rheinland–pfälzische Landesregierung, die sich vehement gegen eine Klage gegen Cattenom ausgesprochen hatte, erklärte auf Anfrage: „Mit diesem Urteil haben wir keine Probleme.“ Die Landesregierung setze auf den Verhandlungsweg. „Wer verhandelt, kann nicht gleichzeitig klagen“, sagte ein Sprecher von Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU). Jo Leinen forderte Bundesumweltminister Töpfer inzwischen auf, in neue „harte Verhandlungen“ mit den Franzosen über Cattenom einzutreten. Töpfer hatte immer wieder erklärt, bei den Genehmigungsverfahren für Cattenom sei alles mit rechten Dingen zugegangen.