Macht hoch die Tür, die Tor macht weit

■ Reagan hält mitten im Sommer eine Adventsrede in Berlin / Heftige Auseinandersetzungen am Vorabend

West–Berlin, eine Stadt im Ausnahmezustand. Was Ronald Reagan als historisches Novum beschwor, fand tatsächlich vor allem in den letzten zwei Tagen statt. Die längst gewachsene Normalität der Stadt im Verhältnis zu ihrer Umgebung, fand anläßlich des dreieinhalbstündigen Präsidentenbesuchs eine jähe Unterbrechung. Sicherheitsstufe eins war angesagt, die Zufahrtswege wurden streng kontrolliert, und Demonstrationen und Feierlichkeiten ergänzten sich zu einer fast totalen Blockade.

„Herr Gorbatschow, kommen Sie hierher zu diesem Tor. Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor, reißen Sie diese Mauer nieder.“ Mit gekonntem Pathos in der Stimme steuert der amerikanische Präsident, „das Tor“ im Rücken, auf den ersten sorgfältig inszenierten Höhepunkt seiner Rede zu. 25.000 handverlesene Berliner und in der Stadt lebende Amerikaner durften sich den Auftritt vor dem Brandenburger Tor live zu Gemüte führen. Der Beifall kam wie er kommen sollte, die Regie schien omnipotent. Selbst als Graffitiesprüher hatten die Berliner Organisatoren sich betätigt: Der Mauerabschnitt hinter der Rednertribüne, am Tag vor dem Auftritt noch durch ein „Reagan go home“ verziert, war rechtzeitig mit „Welcome Reagan 1987“ übersprüht worden. Vor dem limitierten Kontakt mit der Bevölkerung hatte Reagan bereits einen Besuch bei Bundespräsident Weizsäcker absolviert und den Reichtstag besichtigt. Themen des Gesprächs mit dem Bundespräsidenten sollen das Ost–West– Verhältnis unter besonderer Berücksichtigung Berlins und die Abrüstungsverhandlungen gewesen sein. Vom Amtssitz des Bundespräsidenten wurde Reagan mit seinem gesamten Pulk dann zum Reichtstag gekarrt, wo für ihn ein Handschlag mit sogenannten Trümmerfrauen arrangiert worden war. Schon zu diesem Zeitpunkt waren die Frontstadtreminiszenzen unübersehbar, die dann in Reagans Rede auch im Mittelpunkt standen. Zuvor durften sich aber noch Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen und Kanzler Kohl an die „lieben Berliner“ wenden. Während Diepgen zumindestens eine konstruktive Ost– West–Politik beschwor, nutzte Kohl die Situation, um sich beim lieben Ron wieder einzuschmeicheln. „Er“, so Kohl, „wolle diesen Augenblick nicht verstreichen lassen, ohne nicht den in der Bundesrepublik und West–Berlin stationierten amerikanischen Soldaten zu danken, die sich hier für unser aller Freiheit einsetzen.“ Das „wir“ darauf nicht verzichten können, bestätigte Ron ihm dann wenig später auch wunschgemäß. Er werde, wie die Präsidenten vor ihm, die Sicherheit Berlins garantieren, denn „Ich habe noch einen Koffer in Berlin“. Das klang zwar nicht ganz so enthusiatisch wie Kennedys „Ich bin ein Berliner“, gleichwohl versuchte auch Reagan, sich an den populären Slogan anzuhängen, indem er verkündete, jeder der für die Freiheit einstehe, sei ein Berliner. Gezielt wandte Reagan sich auch an die Bewohner Ost–Berlins, denen er versicherte, er spreche auch für sie, denn „es gibt nur ein Berlin“. In bewegenden Worten pries er dann die Überlegenheit des westlichen Kapitalismus, der West–Berlin, aber auch das übrige Westeuropa, aus den Trümmern des Krieges zu neuem Glanz geführt habe. Einmal abgesehen von der Aufforderung an Gorbatschow, mit ihm gemeinsam Hand anzulegen, um die Mauer abzureißen, ließ die vorab als besonders bedeutungsschwanger gefeierte Rede keine substantiell neuen politischen Vorschläge erkennen. Der amerikanische Präsident warb gegenüber den Machthabern „Drüben“ um mehr Durchlässigkeit in der Stadt und schlug vor, eine der kommenden Olympischen Spiele in Berlin, Ost wie West, auszurichten. Angemessen wäre es auch, Berlin zum Veranstaltungsort für große internationale Konferenzen zu machen, da die Lage die Stadt zum Ost–West– Austausch prädestiniere. Eine Abweichung vom vorgefertigten Text erlaubte Reagan sich nur durch eine zusätzliche Schlußbemerkung: Diejenigen, die hier in Berlin gegen ihn demonstriert hätten, wollten wohl Herrschaftsverhältnisse wie im anderen Teil der Stadt. Fazit: Geht doch nach drüben. JG