Hunderttausend forderten Bonner Beitrag zum Frieden

■ Demo ohne Zwischenfälle / Kelly besteht auf einseitiger Abrüstung / Vogel: Friedensbewegung hat öffentliches Bewußtsein verändert / Kritik an Grünen

Aus Bonn Ursel Sieber

Trotz regnerischem Wetter haben sich die Voraussagen voll erfüllt: Rund 110.000 Frauen und Männer kamen am Samstag zur Großdemonstration der Friedensbewegung nach Bonn. Die Polizeiführung bestätigte indirekt diese Zahlen des Bonner Koordinationsausschusses der Friedensbewegung, indem sie keine eigenen Angaben machte: sie verwies nur auf den Koordinationsausschuß. Im Mittelpunkt der Demonstration stand die Forderung an Bundesregierung und Bundestag, „endlich einen eigenen Beitrag zum Einstieg in die Abrüstung“ zu leisten und den Stationierungsbeschluß aus dem Jahre 1983 für Pershing–Raketen und Cruise Missiles wieder aufzuheben. In seiner Abschlußerklärung warf der Koordinationsausschuß der Bundesregierung vor, sie habe „zur doppelten Null–Lösung nicht ja gesagt“: Denn wer die Pershing Ia–Raketen mit ihren Atomsprengköpfen behalten will, wolle die „doppelte Null– Lösung“ verhindern. Die Demonstration verlief ohne Zwischenfälle; die Polizisten in Kampfanzügen hielten sich völlig im Hintergrund. Auf dem Gelände der Universität, auf der Hofgartenwiese, fand die Abschlußkundgebung statt. Entgegen früheren Beschlüssen des Koordinationsausschusses durften auch zwei Parteien mit sogenannten „Grußworten“ auftreten: Für die Grünen sprach die Abgeordnete Petra Kelly, für die SPD der Fraktionsvorsitzende und neue Parteivorsitzende Hans– Jochen Vogel. Fortsetzung auf Seite 2 Reportage auf Seite 5 In einer kämpferischen Rede rief Petra Kelly der Friedensbewegung zu, sie müsse „unbeirrt an ihren Forderungen nach einseitiger Abrüstung und nach Überwindung des unmoralischen und kriminellen Abschreckungsdenkens festhalten“. Auch müsse sie „wachsam bleiben gegenüber jenen Teilen der Sozialdemokraten und Grünen, die taktische Aufweichungen dieser Forderungen vornehmen“. Die Bundesregierung forderte Petra Kelly unter viel Bei fall auf, auf die amerikanischen Pershing Ia–Raketen der Bundeswehr „ersatzlos zu verzichten“. Sie kritisierte, daß die Bundesregierung „ganz unverhüllt“ von dem deutschen Atomwaffen–Verzicht abrücke, indem sie die Pershing IA–Raketen plötzlich zu „deutschen Atomwaffen“ erkläre. Nach Petra Kelly trat Hans–Jochen Vogel von Pfiffen begleitet ans Mikrophon. Vereinzelt wurden Farbeier gegen Vogel geworfen. Vogel forderte im Namen der SPD die „unverzügliche Verwirklichung beider Null–Lösungen ohne Wenn und Aber“, die „Über windung der Abschreckungsstrategie“ und die „Reduzierung“ der konventionellen Rüstung. Die Chancen, in Richtung Abrüstung voranzukommen, seien „größer als je zuvor“. Das sei Folge einer Bewußtseinsveränderung, „zu der die Friedensbewegung entscheidend mitbeigetragen hat“. Auf die Reden von Vogel und Kelly antwortete Martin Singe für den Koordinationsausschuß. Die Grünen sollten „Schluß machen“ mit ihren „Streitereien“ und wieder „einseitige Abrüstung“ fordern. „Erst recht, wenn diese durch Verträge bestätigt werden kann“. Diese Sätze erhielten stärkeren Beifall als die Kritik an der SPD und Hans–Jochen Vogel: „Die SPD ist uns eine klare Antwort auf unsere Forderung schuldig“, so Martin Singe. Vogel müsse die Rücknahme des Stationierungsbeschlusses „einfordern“, welcher „ja erst durch SPD–Politik zustande kam“. Dies sei nötig, um öffentlich zu ziegen, „daß nicht die Logik der Nachrüstung zum heute Erreichten geführt hat“. Singe: „Wir wollen SPD–Politiker im Parlament, denen die Loyalität zur Friedensbewegung wichtiger ist als zur NATO“.