ZK stellt Weichen für Wirtschaftsreform

■ Die Entscheidungsbefugnisse für die Betriebe sollen gestärkt und die der Ministerien beschnitten werden / Unternehmen sollen nicht länger „Kostgänger des Systems“ sein / Forderung nach Konvertierbarkeit des Rubel zu Währungen der RGW–Länder erregt Aufsehen

Aus Moskau Alice Meyer

„Alle sind für den Umbau“, erklärte Michail Gorbatschow in seinem Schlußwort am Ende einer Beratung des Zentralkomitees „über die Fragen der radikalen Umgestaltung der Wirtschaftsverwaltung“ am 8.und 9. November in Moskau, deren Ergebnisse erst am Wochenende bekannt wurden. Früher habe man die Wirtschaftsreformen immer nur „von oben“ bei den zentralen Leitungsorganen angepackt. Deshalb hätte der Reformgeist sich dann auf dem Weg nach unten, zu den Betrieben hin, verflüchtigt. Auf der Ebene der unmittelbaren Produzenten kämen somit die Verordnungen und Empfehlungen nur als Stückwerk an. Das soll anders werden. Das neue Unternehmensgesetz, das die Verfassung und die Befugnisse der sowjetischen Staatsbetriebe von grund auf neu regelt, hat nun absoluten Vorrang und soll vom ZK–Plenum und vom obersten Sowjet Ende Juni/Anfang Juli beraten und verabschiedet werden. Erst danach will die Kremlführung die Dokumente über die Reform der Zentralbehörden - des staatlichen Planungskomitees Gosplan, des Finanzministeriums, der großen Bankorganisationen, der Staatskomitees für Preise, für Arbeit usw. - weiter behandeln. Aber bei Inkrafttreten des Unternehmensgesetzes am 1.1.88 soll das ganze Reformwerk stehen, weil es für die Betriebe unzumutbar wäre, ohne klare Verhältnisse im zentra len Wirtschaftslenkungsapparat zu arbeiten. Und klar wird sein, daß die Machtbefugnisse der staatlichen Planungsinstrumente zugunsten der einzelnen Betriebe oder Produktionsvereinigungen beschnitten werden. Mit dem neuen Wirtschaftsmechanismus sollen der Verschwendung ein Riegel vorgeschoben und zugleich der besseren Befriedigung der Verbraucherbedürfnisse der Weg geebnet werden. Das Unternehmen soll sein Produktionsprogramm und das Sortiment künftig in eigener Regie und nicht mehr aufgrund von ministeriellen Anweisungen festlegen. Ausgehend von staatlichen Bestellungen, unmittelbaren Aufträgen der Verbraucher sowie langfristiger „ökonomischer“ Normativen und Limits stellt das Unternehmen seinen Fünfjahresplan künftig selbständig auf. Die Unternehmen sollen nicht mehr „Kostgänger“ des Staates sein. Selbstfinanzierung auch über Bankkredite wird die Regel, Budget–Finanzierung die Ausnahme. Die Ministerien sollen sich nicht mehr in die unmittelbare Wirtschaftstätigkeit der Unternehmen einmischen, sondern sich mit längerfristigen Strukturplanungen und mit der Einführung des technischen Fortschritts in der Planung befassen. Wie schwer es allerdings den Fachressorts fällt, von dieser Art der bürokratischen Wirtschaftsverwaltung herunterzukommen, hat das seit 1984 in einzelnen Zweigen der Sowjetökonomie laufende Reformexperiment gezeigt. So setzte man den Unternehmen staatliche Warenabnahmestellen für die Prüfung der Produktqualität und der technischen Normen vor die Nase, bevor überhaupt die Unternehmensverfassung selbst geregelt worden war. Aufsehen erregte auf der ZK– Beratung die Forderung des Wirtschaftswissenschaftlers und Direktors des Instituts für die Ökonomie des Sozialistischen Weltsystems, Bogomolow, den sowjetischen Rubel auf eine zwischen den RGW–Staaten (also zwischen den Ländern der östlichen Wirtschaftsgemeinschaft) freie Konvertierbarkeit umzustellen. Man könnte damit die Direktbeziehungen von Unternehmen aus den verschiedenen sozialistischen Ländern besser entwickeln.