Stimmenpoker im kühlen Norden

■ In Schleswig–Holstein bereiten sich die Parteien auf die Landtagswahlen am 13.September vor / Absolute CDU–Mehrheit wackelt / Liberale, Grüne und Unabhängige drängen in den Landtag

Aus Kiel Nico Sönnichsen

Was jüngst in Hessen scheiterte und in Hamburg nicht gelang, könnte am 13.September in Schleswig–Holstein eine neue Chance bekommen. Die Prognosen für ein rot–grünes Experiment im Landeshaus an der Kieler Förde stehen nicht schlecht. Während sich SPD und Grüne beiderseits den Kopf darüber zerbrechen und streiten, wie eine regierungsfähige Kooperation links von der CDU gesichert werden kann, machen die Enkel Stoltenbergs - wie gewohnt - Front gegen das drohende rot–grüne Chaos. Ob diese Strategie der Christdemokraten aber auch im kühlen Norden zieht, bleibt abzuwarten. Noch regiert - seit mehr als 30 Jahren - die CDU. Doch Bauernsterben, Firmenpleiten und Werftenkonkurse haben das Ansehen der Regierung Barschel derart in Mitleidenschaft gezogen, daß der Verlust der absoluten Mehrheit der Christdemokraten im Kieler Landtag nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint. Mehr noch. Aus dem langweiligen Zwei– Fraktionen–Parlament kann in wenigen Monaten ein Landtag mit vier, fünf oder sogar sechs Parteien werden. Während die FDP mit ihrem Landesvorsitzenden Wolf–Dieter Zumpfort in den Landtag zurückdrängt, glauben auch die Grünen und die neu formierte „Unabhängige Wählergemeinschaft Schleswig–Holstein“ (UWSH) fest daran, die Fünf–Prozent–Hürde zu überspringen. Der Vertreter der Partei der dänischen Minderheit, der „Südschleswiger Wählervereinigung“ (SSW), wäre dann das sechste Rad am Wagen. Die interessanteste Erscheinung in diesem Spektrum ist zweifellos die im November 1986 ins Leben gerufene UWSH. FDP setzt auf Schwarz–Gelb Sie verfügt über eine beachtliche gesellschaftliche Basis im konservativen ländlichen Milieu und bei den vielen kommunalen Wählergemeinschaften. Ihr Pendant, die „Unabhängige Wählergemeinschaft Dithmarschen“ (UWD), hatte bei den Kommunalwahlen im März vergangenen Jahres auf Anhieb glatte 11 Prozent der Stimmen geholt, den Christdemokraten bittere Stimmenverluste zugefügt und den Grünen und der FDP in Dithmarschen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Daß Kommunalwahlergebnisse nicht einfach auf Landtagswahlen übertragbar sind, weiß auch UWSH–Landesvorsitzender Reinhardt Guldager. Gleichwohl rechnet er mit einem neuen Achtungserfolg für die UWSH, die die künftige Zusammensetzung des Kieler Landtags in jedem Fall beeinflussen wird. Ob über oder unter fünf Prozent, die Stimmenprozente der Christdemokraten werden durch die UWSH geschmälert. Von dem erwarteten Verlust der absoluten CDU–Mehrheit wollen auch die Liberalen profitieren. Sie bereiten sich auf die Rolle des Juniorpartners in einer neuen CDU/ FDP–Regierung vor. Erst relativ spät hat der früher klar sozialliberal orientierte Landesverband der Liberalen den Wendekurs der Bonner Mutterpartei nachvollzogen. Im Gefolge verließen vielerorts FDP–Mitglieder ihre angestammte Partei, andernorts brach die FDP–Basis nach verheerenden Stimmenverlusten bei der Kommunalwahl förmlich in sich zusammen. Um diese Verluste wieder wettzumachen, haben die Nord–Liberalen erst jetzt eindeutig für eine schwarz–gelbe Koalition in Kiel votiert. Aber auch dieser Wunsch könnte, wie weiland in Dithmarschen, durch Abwanderungen ehemaliger Wähler zur UWSH platzen. So hätten es gerne die „Unabhängigen“, die ihrerseits ein Bündnis zwischen Koalition und Tolerierung mit der CDU anstreben. Sollte die UWSH den Sprung in den Landtag dennoch verfehlen, könnte das durch ihre Kandidatur verursachte rechte Stimmensplitting gar ungewollt ausschlaggebend für eine rot–grüne Landtagsmehrheit werden. Verständlich, daß man den kleinen Konkurrenten daher in den Parteizentralen der CDU fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. UWSH–Vorsitzender Guldager berichtet in diesem Zusammenhang von christdemokratischen Einschüchterungsversuchen gegen Kandidaten der Wählergemeinschaft, die im öffentlichen Dienst oder bei anerkannten Verbänden tätig sind. Um die beabsichtigte Kandidatur der UWSH zu verhindern, würden ihnen sogar berufliche Konsequenzen angedroht. Konkurrenzdruck für die Grünen Freilich, wer als Anhänger eines rot–grünen Neubeginns in Schleswig–Holstein darauf hofft, vom rechten Stimmensplitting däumchendrehend profitieren zu können, pokert hoch. Vor allem die Grünen müssen sich noch kräftig ins Zeug legen, um nach zwei gescheiterten Anläufen im September als Wahlsieger dastehen zu können. Bei der Aufstellung ihrer Kandidatenliste im April sind ihnen Formfehler unterlaufen, die eine Wiederholungswahl erforderlich machen. Ein zweiter Fehler dieser Art, und die Landeswahlordnung würde sie gnadenlos aus dem Rennen werfen. Andererseits dürfen aber auch die Grünen die UWSH nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die nämlich bietet sich nicht nur unzufriedenen CDU– und FDP–Wählern als Alternative an, sondern auch den grün–konservativen Wählerschichten der Ökopartei. Doch sollte es am 13.September zu einer rot–grünen Mehrheit in Schleswig–Holstein kommen, soll es keine Koalition der SPD mit den Grünen geben. Schon im Vorfeld der Wahlen haben beide Parteien die Koalition als Kooperationsform ausgeschlossen. Während der SPD–Landesverband einen für vier Jahre „verbindlichen Kooperationsvertrag unterhalb der Koalition“ anstrebt, der eine deutliche Distanzierung der Grünen von Gewalt als Mittel der Politik einschließt, haben die Grünen beschlossen, eine SPD– Minderheitsregierung wählen zu wollen, wenn die SPD sich zum Sofortausstieg aus der Atomenergie und zum sofortigen Stopp der Sondermüllexporte nach Schönberg/DDR bekennt. Die Sozialdemokraten ihrerseits haben betont, alle einer Landesregierung zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung setzen zu wollen, um die Stillegung der Atommeiler in Brokdorf, Krümmel und Brunsbüttel schnellstmöglich auf den Weg zu bringen.