Stahlrunde ohne klare Ergebnisse

■ IG Metall, Unternehmer und Blüm sind sich einig: Keine Massenentlassungen / Neue Gespräche wurden vereinbart / Wirtschaftsminister Bangemann: Endgültige Entscheidung erst im Herbst

Aus Bonn Jakob Sonnenschein

Das am Dienstag im Kanzleramt angesetzte Stahlgespräch ist nach „dramatischer Diskussion“ (Steinkühler) ohne konkrete Ergebnisse über die öffentlichen Finanzhilfen für die Krisenbranche zu Ende gegangen. In den nächsten zehn Tagen sollen die Gespäche fortgesetzt werden. Während der IG–Metall–Vorsitzende Franz Steinkühler und der Chef der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Heinz Kriwet, vor der Presse in Bonn auf die Dringlichkeit der Entscheidung hinwiesen, schloß Wirtschaftsminister Bangemann eine kurzfristige Entscheidung aus. Endgültiges könne erst nach der Sitzung des europäischen Stahlrates im September gesagt werden. Eckhard Stratmann, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, bezeichnete die Weigerung der Bundesregierung, klare Finanzhilfe zu leisten, als verantwortungsloses Zeitspiel mit den Ängsten der Stahlarbeiter. Die gewinnträchtigen Stahlkon zerne seien zu zwingen, Arbeitsplätze zu sichern und Ersatzarbeitsplätze aufzubauen. Als Grundlage des Kanzlergesprächs diente die Vereinbarung der Tarifpartner vom 10.Juni. Darin verpflichten sich die Stahlunternehmer, auf „betriebsbedingte Kündigungen“ zu verzichten, wenn „die öffentliche Hand nicht rückzahlbare öffentliche Beihilfen in einer Höhe leistet, wie sie es bis 1985 getan hat“. Fließen die Beihilfen nicht, so Kriwet am Dienstag, gehe es nicht ohne Massenentlassungen. Gemeinsam gehen Kriwet und Steinkühler davon aus, daß der Belegschaftsabbau über Sozialplan pro Beschäftigten etwa 75.000 DM kostet. Die Tarifpartner fordern, daß die Aufteilung der Kosten nach dem bis 1985 gültigen Schlüssel erfolgt: ein Drittel zahlen die Unternehmer, ein Drittel die EG, ein Drittel der deutsche Steuerzahler. Über das Gesamtvolumen der Zuschüsse mochte niemand genauere Aussagen machen. Sicher ist, daß Ersatzarbeitsplätze, etwa im Rahmen der von der IG Metall konzipierten Beschäftigungsgesellschaften, nur einen kleinen Teil der Arbeitsplatzverluste auffangen können. Gesprochen wird von 2.–4.000, die zum Beispiel bei der Sanierung der von der Stahlindustrie hinterlassenen Industriebrachen eingesetzt werden sollen. Die anderen sollen bei Absicherung von bis zu 90 Prozent ihres Nettoeinkommens - wie bisher in der Stahlbranche üblich - schon mit 55 Jahren quasi frühpensioniert werden. Das Problem: In der gesamten Stahlindustrie sind kaum noch mehr als 10.000 Menschen dieser Altersgruppe beschäftigt. Deshalb wird die Altersgrenze für besonders belastete Stahl–Arbeitnehmer noch einmal heruntergesetzt. Ferner kommt es zur Anwendung des sogenannten „Stellvertreterprinzips“. Damit ist die Anwendung der Frühpensionierung über den unmittelbaren Stahlbereich hinaus gemeint. Ältere Arbeitnehmer in der Weiterverarbeitung scheiden aus, damit junge Leute aus den Stahlwerken ihre Plätze einnehmen können. Hierfür hat Blüm 80 Mio. DM zugesagt. Neu an dieser Konzeption ist vom Prinzip her die Verständigung auf die Beschäftigungsgesellschaften, die, statt den Abbau wie gehabt sozial abzufedern, für einen Teil gänzlich neue Arbeitsplätze schaffen sollen. Vor allem darin sieht Steinkühler „eine bisher nie dagewesene Chance“. Voraussetzung jeder Perspektive im Stahlbereich ist für Steinkühler - und auch für Blüm, der von den Unternehmern bis zum Herbst quasi ein Stillhalteabkommen forderte - die Verhinderung von Massenentlassungen. Sollten die stattfinden, fällt für die IG Metall die gesamte Vereinbarung. Dann werde angesichts der „dramatischen Situation“ in den Stahlregionen der Kampf der Belegschaften, so Steinkühler, „kein Spaziergang“. Sowohl Blüm als auch Kriwet sehen im Falle des Scheiterns den „sozialen Konsensus“ gefährdet. Kriwet zur Stimmung bei den Stahlarbeitern: „Die ist ganz ungewöhnlich schlecht.“ Kommentar auf Seite 4