Das Fahrrad der Zukunft: Rennmobil oder Ersatzauto?

■ Ist das Fahrrad noch verbesserungsfähig? / Die Entwürfe der Zukunft setzen entweder auf das Hochgeschwindigkeitsgefährt oder auf den Drahtesel als Ersatzauto

„Das Fahrrad ist ein Beispiel für ideal angepaßte, klassenlose und frauenfreundliche Technologie“ urteilt der Oldenburger Fahrrad–Forscher Falk Ries auf dem TU–Symposion zur Zukunft des Fahrrades. Kein anderes Verkehrsmittel könne sich im Wirkungsgrad, d.h. dem Verhältnis zwischen aufgewendeter und tatsächlich umgesetzter Energie, mit dem Fahrrad messen. Daher müßten Überlegungen zur Weiterentwicklung der Fahrrad–Technologie so erscheinen, als wolle man Verbesserungen am Prinzip des Pinsels vornehmen, meint Ries. Tatsächlich geht es aber bei den vielfältigen Weiterentwicklungen der muskelgetriebene Fahrrad als Verkehrsmittel mit dem Auto (und nicht mit dem zu–Fuß–gehen) messen lassen muß, ergeben sich in der Tat eine Reihe bisher nicht erfüllter Wünsche. Es soll schneller und zum Transport von Lasten besser ausgerüstet sein, einen Schutz gegen Regen bieten und ein stabiles Gefährt sein, in das man, analog zum Auto, „einsteigen“ kann. Mit einem Wort: Das ideale Fahrrad für die Auto–verwöhnten Konsumenten ist doch wieder das Auto. Oder eben ein für spezielle Bedürfnisse zuge schnittenes Fahrrad. Um z.B. hohe Geschwindigkeiten zu erreichen, muß entweder die Kraftübertragung verbessert oder der Luftwiderstand verringert werden. Neue Entwicklungen versuchen beides zu erreichen. Beim „normalen“ Rad, bei dem die Antriebspedale unter dem Radler liegen, kann der Fahrer keine wesentlich größere Kraft als die durch sein Körpergewicht bedingte aufbringen. Bei Neuentwicklungen ist der Pedalantrieb daher nach vorn, z.T. über das Vorderrad auf eine Höhe mit dem Fahrersitz verlegt. Wer einmal versucht hat, sitzend, mit dem Rücken an eine Wand gelehnt, schwere Lasten mit den Beinen wegzudrücken, weiß, welche Kraft die Beinmuskulatur bei entsprechendem „Rückhalt“ aufzubringen vermag. Die Sättel auf solchen Sitz– oder Liegerädern müssen deshalb vor allem eine solide Rückenstütze haben. Windschlüpfrig werden die Hochgeschwindigkeitsräder durch schräg über dem Rad– Vorderteil hochgezogene Verkleidungen, die als Regenschutz allerdings ungeeignet sind. Wird die Verkleidung um Fahrrad und Radler ganz geschlossen, nimmt die Seitenwindempfindlichkeit allerdings beträchtlich zu. Andererseits ist Regen einer der mißlichen Umstände, die einem das Radfahren verleiden können. Manche Kleinhersteller bieten daher Räder mit Dächern aber ohne Seitenverkleidung an, was wenig Sinn macht, denn erfahrungsgemäß werden Radfahrer von vorne und nicht von oben naß. Andere Entwickler setzen auf eine tiefliegende Textilverkleidung, die nach dem Muster des bekannten Fahrradcapes am Hals des Radlers abschließt, und verpassen ihm zusätzlich einen Helm. Eine andere Methode, dem Radler einen Platz im Trockenen zu schaffen, ohne daß ein leichter Seitenwind ihn gleich aus der Bahn drückt, ist der Umstieg vom Zweirad auf das Dreirad. Ein drittes, hinten oder auch vorn angebrachtes Rad stabilisiert die Spur, bietet außerdem den Vorteil, daß man in ein solches Gefährt tatsächlich „einsteigen“ und auch im Stand, etwa an der Ampel, im Trockenen sitzen kann. Die Verkleidungen, mit Türchen und Plexiglas in Kopfhöhe, stellen dann allerdings schon den Übergang vom Fahrrad zum Tretauto dar. Sie sind nicht mehr so ohne weiteres die Treppen hochzutragen, finden normalerweise auch keinen Platz auf den Radwegen und müssen sich zwischen den motorisierten Straßenfahrzeugen behaupten. Interessenten an einem Fahrrad der Zukunft, das je nach verwendeter Technologie einige tausend Mark kosten kann, müssen sich also entscheiden, ob sie ein Fahrrad mit den letztlich nicht aufhebbaren grundsätzlichen Einschränkungen oder ein Pseudo– Auto haben wollen. Falk Ries wies den auf futuristische Technologien fixierten Fahrradfans auf der TU–Veranstaltung noch einen anderen Weg, der in diesem Rahmen allerdings auf wenig Verständnis stieß: Radfahrer könnten ja ab und zu auch mal wieder zu Fuß gehen! Imma Harms