Die Firma Wallraff in Nöten

■ Ehemalige Mitarbeiter des Erfolgsautors fühlen sich ausgebeutet und politisch mißbraucht

„Ganz unten“ - das Buch über die skrupellose Ausbeutung ausländischer Arbeiter wurde der größte Renner in der Sachbuchgeschichte. Mit dem Ruhm und dem Geld kamen aber auch die Probleme. Wallraffs Mitarbeiter Uwe Herzog behauptet, er hätte selbst einen Teil des Buches geschri Günter Wallraff, der Mann, der das Gewissen der Nation aufgerüttelt hat, der weder Bild noch Thyssen die Stirn zu bieten scheute, ist eineinhalb Jahre nach Erscheinen des Bestsellers „Ganz unten“ wieder ins Gerede gekommen. Nicht mehr der subversive literarische Kampf des Menschenfreundes Günter „Ali“ Wallraff gegen menschenfeindliche Arbeitsbedingungen steht zur Diskussion, sondern, seit im Spiegel jetzt auch „die Türken auspacken“, die große Enthülle über den Enthüller der Nation und ihre ausländerfeindlichen Lage. Im Frühjahr hat ein inzwischen verstoßener Mitarbeiter Wallraffs, der Bremer Journalist Uwe Herzog, zuerst zu pfeifen begonnen und den Wind entfacht, der jetzt im Blätterwald rauscht. Nachdem der Stern die Story „Bei Ali ganz unten“ abgelehnt hatte, brachte sie das Bremer Blatt, mutig allen Anfeindungen trotzend. Was der langjährige Freund aus alten Zeiten, da Hans Esser bei Bild Hannover noch under–cover arbeitete, über die „Firma Wallraff“ aus dem Nähkästchen plauderte, bot Insidern wenig Neues, entsprach jedoch nicht dem heroischen Bild, das sich knapp 3 Millionen Leser von „Ich/Ali“ gemacht haben oder hatten machen lassen. Zum ersten Mal erfuhr zunächst alternatives Publikum aus erster Hand und nicht von Report München über das „Unternehmen ganz unten“. Kein „Super–Ali“ sei am Werke gewesen, sondern ein Trupp von Rechercheuren, Helfern und Schreibern, deren Texte Wallraff schließlich als seine ausgegeben habe. Herzog: „Insgesamt sind es 28 von 256 Seiten, die ausschließlich von mir recherchiert und geschrieben wurden“, obwohl Wallraff ihm vor Drucklegung versichert haben soll, daß, „von Deinen Manuskripten gar nichts ins Buch kommt, höchstens mal eine halbe Seite oder so“. Daß Wallraff selbst nicht immer und überall Ali gewesen sei und dies verschwiegen habe, schlußfolgert Herzog, habe die Glaubwürdigkeit des Buches und seine eigene aufs Spiel gesetzt. Damit nun traf der Kollege aus dem zweiten Glied eine offene Wallraff–Wunde. Der Mann, der dem Kapitalismus Mores lehren wollte, wurde plötzlich skrupelloser Machenschaften bezichtigt, gar des Einsatzes von „Leiharbeitern“. Der Chefankläger geriet selbst auf die Anklagebank und mußte sich nun an den eigenen Maßstäben messen lassen - als ob Konsequenz eine Tugend sei. Das Buch, soviel ist sicher, wäre als Aufsatzsammlung eines sozialistischen Autorenkollektivs kaum zu dem Bestseller geworden. Es lebt von und mit Wallraff, dem Inszenierer der Wirklichkeit und seines eigenen Mythos, lebt von seiner religiösen Grundstimmung, die ein ganzes Lesevolk von Frommen erfaßt hat. Die Basler Zeitung, die als eines der ersten Blätter den von Herzog losgetreten Stein aufnahm (“Alles stimmt, nur Wallraff stimmt nicht ganz“) war es, der nicht verborgen blieb, daß im Hintergrund auch „höchst Unappetitliches“ steckt: „Neid, Intrigen, verletzte Eitelkeiten und handfeste finanzielle Interessen“. Sie gehören zu einem Unternehmen mit Umsatz, der auch von den knapp zwei dutzend Mitarbeitern nicht vorauszusehen war. Wallraff hat die meisten inzwischen in aller Stille partizipieren lassen. Herzog bekam nach vielem hin und her 80.000 Mark. Der Mann, der „Ich/Ali“ für zwei Jahre seine Identität und seine Erfahrungen lieferte und dem Spiegel die Überlegung, ob Wallraff vielleicht seinen Feinden ähnlich geworden sei, Levent Sinirlioglu, bekam 50.000 Mark. Allein der von Wallraff inzwischen in Interviews bemühte Neidkomplex kann indes die Kritik kaum entkräften. Wallraff hat, das geht aus den Schilderungen Taner Adays hervor, die Duisburger „Beratungsstelle Ausländersolidarität“, in der Aday arbeitete, mehr als schludrig geführt, als „eine Alibi–Einrichtung, mit der Wallraff sein Gewissen beruhigte“ (Taner Aday), ohne das Telefon rechtzeitig zu bezahlen oder das Büro einmal aufzusuchen. Doch es sind nicht nur die äußeren Zeichen des Wallraffschen Umgangs mit dem Erfolg, den, so fordern die „Türken“, nun eine unabhängige Kommission untersuchen soll. In Gewissensnot muß der Autor Wallraff auch dort kommen, wo er darauf beharrt, alleiniger Täter gewesen zu sein. Diese Mystifizierung findet zweifellos ihr Pendant in einer angestrengten Opferhaltung Wallraffs - verfolgt von BND und deutschem Killerinstinkt ist er in Amsterdam unter– und in Köln hin und wieder aufgetaucht. „Überall dort, wo Ali agiert, da habe ich es erlebt, im Gegensatz zu anderen Büchern war ich mit dieser Ali–Figur deckungsgleich“, sagt Wallraff (Basler Zeitung), und doch kommt zum Beispiel von Levent Sinilioglu der Einwand: „Nein, alle Erlebnisse, die Abdullah in Ganz unten hat, sind meine Erlebnisse gewesen.“ Nur einmal, in der Basler Zeitung und also etwas weiter weg, hat sich Wallraff zu einer distanzierteren Aussage durchringen können: „Ich bin nun mal der Regisseur“, stufte er den Hauptanteil seiner Arbeit, richtig ein, ohne jene lästige Egomanie, zu der er nicht stehen mag. Wallraff ist nicht erst seit „Ganz unten“ eine Legende. Wo bequemer Journalismus zu graben aufhörte, war er vor Ort, wenn auch nicht uneigennützig, nicht frei von eigenen Motiven. Das linke Gewissen zumal bekam von ihm die Bestätigung seiner nötigen Feindbilder. Und sie spielten alle mit, ob bei Pardon, wo Wallraffs Karriere begann, bei Konkret oder beim Spiegel und der taz - Wallraff wurde zur medialen Kultfigur, ob er wollte oder nicht. „Ali, das bin durchgängig ich“, hatte Wallraff den Kölner Autor Christian Linder vor einem Jahr über „einige seiner Motive“ schreiben lassen, über sein „ureigenstes Chaos, das dich nicht entfliehen läßt“. Taner Aday sieht als Wallraffs größte Fähigkeit inzwischen, „die Leute gegeneinander auszuspielen“. Man findet darin wieder, was Linder aus einem Tagebuch Wallraffs zitiert: „Ich bin mein eigener heimischer Maskenbildner, setz mir ständig neue Masken auf, um mich zu suchen und in einem vor mir zu verbergen.“ Nun ist Wallraff Opfer seines clownesken Spiels geworden, weil sogar (Ex)Freunde und Beteiligte seine Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Wenn Linder als Ur–Motiv der Wallraffiaden damals festhielt, „auch in der Kunst Demokratie herzustellen, und das heißt: alle an allem beteiligt sein zu lassen“, dann weiß jeder, daß einem solchen Anspruch nur ein Fiasko folgen konnte. Wallraff war jedoch auf den Sockel gehoben, der nun wankt. Gerade das macht die Verantwortung derjenigen aus, die Wallraff weiterhin als Autor gefeiert wissen wollen. Mit Herrmann L.Gremlitza, dem Herausgeber von Konkret hätte man es auch einfacher haben können. Es werfe doch ein bezeichnendes Licht auf die Germanisten, beschied er der Basler Zeitung, daß sie die unterschiedliche Autorenschaft Wallraffscher Texte nicht schon längst entdeckt hätten. Benedict M. Mülder