Mais hilft nicht gegen Afrikas Hunger

■ Zwei Jahre nach der großen Dürre sind die Perspektiven Afrikas weiterhin düster / Neue Bücher verbreiten Pessimismus

„Überwiegend günstige Regenfälle und gute Ernten im Wirtschaftsjahr 1986/87“ verkündete die UN–Organisation für Landwirtschaft und Ernährung, FAO, optimistisch in ihrem Ende April erschienenen Bericht zur Situation südlich der Sahara. Sprach die FAO noch 1984 von 150 Millionen vom Hunger bedrohten Menschen, so werden in der kommenden Saison lediglich fünf Länder auf dem schwarzen Kontinent Nahrungsmittelhilfe benötigen. Malawi und Zimbabwe haben sogar exportfähige Überschüsse erwirtschaftet. Ist Afrika damit aus dem Schneider? Ist der Hunger überwunden, die ökologische Krise gebannt? Mitnichten, so urteilen übereinstimmend, wenn auch mit unterschiedlichsten Begründungen, alle Autoren, die sich in letzter Zeit dem Thema gewidmet haben. Düstere Perspektiven zeichnet vor allem der langjährige Afrikakorrespondent der Frankfurter Rundschau und des Tagesanzeigers, Andreas Bänziger, in seinem Ende 86 erschienenen Buch: Die Saat der Dürre - Afrika in den 80er Jahren. In gut lesbaren Repor Seele“ im Gefolge von Kolonialismus und Christentum. Viel ist von der Zerstörung des alten Afrika, wenig vom Aufbau des neuen die Rede. Obschon Bänziger sich bemüht, sowohl den Regierungen als auch den Völkern gerecht zu werden, merkt man dem Buch an: für Sozialrevolutionäre ist Schwarzafrika ein frustrierendes Pflaster. Die afrikanische Staatsklasse, Beamte und Günstlinge der Herrschenden, sichert sich die Loyalität der Städte und versucht, die Bauern via Niedrigpreispolitik und Vermarktungsmonopole zu „melken“, die Bauern ziehen sich zurück, versuchen unabhängig zu wirtschaften, aber die Subsistenzsysteme, die jahrhundertelang die Existenzen auf einem zwar niedrigen Niveau sichern konnten, funktionieren nicht mehr. „Die Bauern Äthiopiens beispielsweise“, schreibt Bänzinger, „kannten seit Jahrhunderten eine ganze Reihe von Abwehrmaßnahmen gegen die Not“: die Viehherden als Reserve; ausgeklügelte, zeitlich gestaffelte Anbausysteme; vorübergehend wichen die Menschen in Überschußgebiete aus. Doch alle diese Mechanismen versagten in der großen Dürre 1984/85. „Das Elend in den Hungerlagern, die ausgemergelten Kinder, die sterbenden Alten, das war nur die Endstation. Vorangegangen war ein jahrelanger Kampf ums Überleben, von dem man nichts erfuhr. Die Krise kommt in Gestalt vieler kleiner Details: die seit wenigen Jahren im Niger auftretenden verheerenden Sandstürme deuten auf langfristige Klimaveränderungen hin, der Zerfall von Mopti und Jenne, den berühmten Handelsstädten am Niger– Fluß in Mali, auf den Niedergang einer ganzen Kultur. Sowohl das äthiopische Hochland als auch die Sahelzone in Westafrika sind nach Bänzigers Analyse als Lebensräume kaum noch zu retten und müssen voraussichtlich dauerhaft subventioniert werden. Überzeugend belegt er: Eine Erhaltung oder Restaurierung der alten Lebensweise bietet nur einen kurzfristigen Ausweg angesichts der zunehmenden Bevölkerung. Eine deprimierende Aussicht für alle, die sich von der Rückkehr zum Status quo ante eine Linderung des Elends erhoffen. Gibt es Lösungen? Kaum. Preissteigerungen können die Bauern in begrenztem Umfang zur Produktion für den Markt motivieren, aber die importintensive Saatgut–Düngemitteltechnologie (die sog. Grüne Revolution) zeigt in Afrika noch nicht einmal jene kurz– bis mittelfristigen Erfolge, die in Teilen Lateinamerikas und Asiens erzielt wurden. Die weitaus größten Hoffnungen setzt Bänziger in die sanfte Intensivierung der Landwirtschaft mit bescheidenen Mitteln, wie sie in dem vielgerühmten Modellprojekt von Nyabisindu im ostafrikanischen Ruanda praktiziert wird. Dort versuchen internationale Agrarexperten, darunter auch Deutsche, mit beträchtlichem Erfolg ein integriertes Anbausystem nach ökologischen Kriterien zu entwickeln. Aber dieses Vorbild hat bislang kaum Nachahmer gefunden, es bleibt eine Insel. Projektgigantomanie dominiert nach wie vor die entwicklungspolitische Szene. Diese pessimistische Einschätzung wird durch verschiedene neue Fallstudien zu einzelnen Ländern und Projekten bestätigt. Stefan Brühnes „Äthiopien - Unterentwicklung und radikale Militärherrschaft“ konzentriert sich auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Reformpolitik der sich als revolutionär–sozialistisch verstehenden Regierung und spricht dabei von der „Ambivalenz einer scheinheiligen Revolution“: Trotz einer radikalen Agrarreform und einer zunächst verbesserten Ernährung der Bevölke rung sank die Nahrungsmittelproduktion pro Kopf um 16 Prozent in den sechziger und siebziger Jahren. Grund für die Stagnation waren weniger produktionstechnische Probleme, sondern die „Versuche, gesellschaftliche Konflikte mit militärischen Mitteln zu lösen“, sprich: die Kriege gegen die Guerillabewegungen in den ökologisch ohnehin angegriffenen Provinzen Tigre, Wollega, Eritrea und Harar. Mit diesem Standpunkt ist Brühne einer der wenigen außerhalb der Solidaritätsbewegung, der die desaströsen Auswirkungen des Krieges offen benennt. Schon Ende der siebziger Jahre war Äthopien größter Hilfsempfänger der EG und größter Einzelabnehmer von Getreide im Rahmen des „World Food Programme“, und auch heute - nach dem Ende der großen Dürre - gehört Äthopien zu den fünf Ländern, die auf Nahrungsmittelhilfe in größerem Umfang angewiesen sind. Hervorragende Beispiele zu den Auswirkungen der in den Trockengebieten Afrikas (aber nicht nur dort) verfolgten Entwicklungspolitik finden sich im 2. Oekozid–Jahrbuch „Nach uns die Sintflut, Staudämme - Entwicklungshilfe, Umweltzerstörung und Landraub“, wo am Beispiel des ägyptischen Assuan–Staudamms und der Erschließung des Senegalbeckens in Westafrika die Zerstörung funktionsfähiger, aber stagnierender Produktionssysteme zugunsten von ökologisch und ökonomisch zweifelhaften Neuerungen aufs Korn genommen wird. Als einziger stellt Al Imfeld in Bernhard Glaesers Sammelband „Die Krise der Landwirtschaft - Zur Renaissance von Agrikulturen“ die radikale Frage: Ist es eigentlich wirklich die traditionelle Landwirtschaft, die sukzessive und verstärkt seit der Dürre 84/85 in die Krise geraten ist? Folgt man Imfeld, so sind die heute im Sahel zu beobachtenden Anbaupraktiken und die in Ostafrika verbreitete nomadische Viehwirtschaft längst degenerierte Formen der ursprünglich dort heimischen vielfältigen Agrarkulturen und des Pastoralismus. Altes Wissen um die ideale Größe der Herden ist z. B. verloren gegangen, nur noch ein Bruchteil der ehedem im Sahel angebauten 25 Getreidearten ist heute dort zu finden. Der Mais, der als das Grundnahrungsmittel Afrikas gilt, ist in Wirklichkeit eine „koloniale Pflanze“: ein Magenfüller, der den Boden auslaugt und keine Trockenperioden verträgt, angepaßt an die Bedürfnisse der Europäer, nicht jedoch an die unzuverlässigen Niederschläge vieler afrikanischer Länder. Während der berühmte Vater der „Grünen Revolution“, der Amerikaner Norman Borlaug, in New Delhi an einer „Maisrevolution für Afrika“ arbeitet und internationale Agrarexperten ebenfalls standardmäßig empfehlen „beim Mais ankurbeln“, erklärt Imfeld: „Die Dürre hat viel mit Mais zu tun“ und „mit Mais kann Afrikas Hunger niemals besiegt werden.“ Nina Boschmann Andreas Bänziger: Die Saat der Dürre - Afrika in den 80er Jahren, Lamuv Verlag 1986, 223 S. Stefan Brüne: Äthiopien - Unterentwicklung und radikale Militärherrschaft - Zur Ambivalenz einer scheinheiligen Revolution, Institut für Afrikakunde, Hamburg 1986, 373 S. Peter E. Stüben (hg.): Nach uns die Sintflut, Staudämme - Entwicklungshilfe, Umweltzerstörung und Landraub, Oekozid 2–Jahrbuch, Focus–Verlag 1986, 262 S. Bernhard Gläser (hg.): Die Krise der Landwirtschaft - Zur Renaisance von Agrikulturen, Campus Verlag 1986, 196 S.