: Kaum Aussicht auf Entschädigung für NS–Opfer
■ Regierungsfraktion im Innenausschuß des Bundestages nur zu eintägiger Anhörung und Begrenzung der Sachverständigen auf 13 bereit / Nur Aufstockung des Härtefonds geplant / Grüne fordern hingegen Wiedergutmachung für alle Opfer und politisches Signal
Aus Bonn Ursel Sieber
Nachdem die Versuche der Grünen, so schnell wie möglich eine Entschädigung für alle Opfer des Nationalsozialismus durchzusetzen, seit zwei Jahren am Widerstand der Regierungsparteien gescheitert sind, wird am 24.Juni die mehrmals verzögerte Sachverständigen–Anhörung vor dem Innenausschuß des Bundestages stattfinden. Die Grünen–Abgeordnete Antje Vollmer betonte in Bonn, jetzt komme alles auf öffentlichen Druck an, damit diese Anhörung nicht nur zügig vonstatten gehe, sondern tatsächlich eine Entschädigung der zahlreichen mit leeren Händen ausgegangenen Opfer bewirkt werde. Doch bereits die Auseinandersetzungen um die Dauer der Anhörung zeigen, daß die Aussichten der Opfer auch in dieser Parlamentsperiode nicht viel besser geworden sind. So lehnten die Regierungsfraktionen im Innenausschuß des Bun destages den Antrag der Grünen ab, ein zweitägiges Hearing mit allen Betroffenenverbänden anzusetzen. Statt dessen haben sie die Anhörung mit ihrer Stimmenmehrheit auf einen Tag und die Zahl der Sachverständigen, die Grüne und SPD zusammen laden können, auf 13 begrenzt. Die Opposition befinde sich somit in der „objektiven Zwangslage“, so Antje Vollmer, Opfer, Betroffenenverbände oder wesentliche Sachverständige auszuladen. Sie verwies auf die Gefahr einer erneuten „Spaltung der Opfer“, die bislang „erschreckend“ gut funktioniert habe. Daher sollen einen Tag vor dem offiziellen Bundestags–Hearing diejenigen zu Wort kommen, die herausfallen mußten. Dieses Treffen wird von den Betroffenenverbänden veranstaltet. Anstelle eines zweiten Anhörungs–Tages haben Regierungspolitiker eine Sondersitzung des Innenausschusses angesetzt, und zwar direkt nach der Anhörung. Begründung in einer Pressemitteilung: Diese kurzfristige Terminierung sei notwendig, „weil dadurch der bisher eingetretene Zeitverzug durch den Ablauf der letzten Legislaturperiode wenigstens teilweise wieder eingeholt werden kann“. Für Antje Vollmer ist dieses Argument „zynisch“: Schließlich waren es die Regierungsfraktionen, die eineinhalb Jahre auf Zeit spielten und so alle Entschädigungsanträge zum Scheitern brachten. Der Innenausschuß besitzt seit Anfang Mai die Federführung in der Entschädigungsfrage. Dies begründete der CDU–Abgeordnete Seiters im Bundestag so: „Das alles gehört von der Kompetenz, von der Zuständigkeit her wirklich in den Innenausschuß, und zwar geschlossen, ohne Aufteilung.“ Damit haben die Regierungsfraktionen nach zwei Jahren plötzlich die Argumentation der Grünen übernommen: Als der Grünen–Abgeordnete Christian Ströbele im Herbst 85 erstmals „die Gesetzesinitiative für eine angemessene Versorgung aller Verfolgten“ in den Bundestag einbrachte, verlangte er deren Behandlung im Innenausschuß. Doch die Regierungsfraktionen verwiesen die Anträge an den Finanzausschuß, zuletzt landeten sie beim Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. In der Debatte Anfang Mai hatte Antje Vollmer gefordert, die Federführung beim Ausschuß für Familie, Jugend und Gesundheit zu belassen, weil „gerade diese Gesetzentwürfe keine weitere Verzögerung vertragen“. Außerdem wollte sie damit Familienministerin Rita Süssmuth moralisch in die Pflicht nehmen: Die Ministerin habe „in Auschwitz selber gesagt, daß sie sich persönlich dafür verantwortlich fühlt“, so Antje Vollmer im Bundestag. Sie sieht im Regierungslager zm Thema Entschädigung zwei Positionen: Die eine um Innenminister Zimmermann und Finanzminister Stoltenberg, „die am liebsten alle abbügeln möchten“. Die andere um Familienministerin Süssmuth, die zusammen mit der FDP aber nur eine Ausweitung der Härtefall–Regelung für bestimmte Opfer–Gruppen hinnehmen würde. Genau dieses Ziel formulierte der FDP–Abgeordnete Baum in einer Pressemitteilung Anfang Mai: „Es bestand und besteht auch weiterhin Übereinstimmung, daß eine Wiederaufnahme der Wiedergutmachungsgesetzgebung nicht beabsichtigt ist, wohl aber eine Aufstockung des Härtefonds oder die Einrichtung einer Stiftung mit einer Prüfung der Bedingungen, unter denen bestimmte Härtefälle zu behandeln sind.“ Damit allerdings wäre der Ansatz der Grünen gescheitert: Sie wollen für jedes Opfer das Recht auf angemessene Versorgung, die Beweislast umkehren und damit, so Antje Vollmer, ein politisches Signal setzen, daß „Unrecht endlich Unrecht genannt wird“.
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