■ Mamma mia!
: Zum Tiefgang der Mütter - Eine kleine Sprachkritik

Die Perspektive ist attraktiv. „Kälte, Entfremdung und Isolation haben ein Ende, und eine „bunte“ und „lebensfrohe Welt“ erwartet uns. Schöne Aussichten. Fragt sich nur, wie wir das Paradies erreichen. Seit einigen Monaten nun sind alle Zweifel ausgeräumt: mit den Müttern. Wenn sie ihre „Kreativität, Wärme und Verantwortungsbereitschaft“ walten lassen, dann wird sich alles zum Guten wenden. Voraussetzung sind freilich die „Kinder an der Hand“, und damit es auch klappt mit der Veränderung, müssen wir sie ermutigen. Nur „lebenslustige Mütter und selbstbewußte Kinder“ nämlich sind der schweren Aufgabe gewachsen. „Motherhood is beautiful“ lautet die Lehre, die der Menschheit Glück verheißen soll. Ich befürchte nur, daß es nichts wird mit der lebensfrohen Welt. Denn das Entscheidende geht uns ab: uns Karrieremenschen mit und ohne Kinder fehlt die Tiefe. Wir können weder die „tiefe und gegenwärtig noch ungelöste Spannung zwischen den verschiedenen Lebensentwürfen“ richtig erkennen, noch die „tiefe Dimension einer anderen Art zu kooperieren“ begreifen. Auch teilen wir nicht die „tiefen Zweifel an einer Quotierung“, und so wird es uns wohl kaum gelingen, „die tiefe Angst einer mütterfeindlichen Gesellschaft abzubauen“. Nein, es ist aussichtslos, das Müttermanifest „ganz tief zu verstehen“, daran wird es ewig mangeln. Was da aus tiefstem Mutterherzen hervorquillt dem Mutterorden entgegen. d.S. ist ein Dokument von besonderer Dramatik. Teil eins, die Exposition bereitet uns auf den Ausflug in die Tiefe vor: „Es ist an der Zeit“, so wird mehrfach wiederholt, bis die Worte sich ohrwurmartig einzuprägen beginnen und alle im Chor der Mütter mitsingen können: „Es ist an der Zeit.“ Erst dann, nach dem gemeinsamen Choral, steigen wir herab und kommen einmal - und noch ein zweites Mal mit der Tiefe in Berührung. Im dritten Abschnitt ein erster Höhepunkt, „wir wollen alles“ heißt es dort trotzig, und als wollten die Mütter einen Beweis ihrer magischen Kräfte bieten, verwandeln sie flugs Sachliches in Belebtes: „Wir brauchen außerdem eine lebendige Infrastruktur für Mütter.“ Die Spannung steigt bis zum vierten Teil und eingedenk unserer Ungeduld wird die lange Liste der Mütteranliegen nicht mehr ausgeführt, dafür gehts nun richtig los: Es gibt Tiefe satt. Gleich zweimal in einem Satz wird sie uns präsentiert. Tiefer gehts wirklich nicht. Tiefer kann frau nicht fallen als in diesen Urgrund wahrer Mütterlichkeit. Daß es das noch gibt in unserer schlechten, kalten Welt: wirkliche, wahre Gefühle! Oh Mutter, ich danke Dir. Du letzte Bastion unverfälschter Innerlichkeit. „Seit Mitte der siebziger Jahre erlebt man mit wachsendem Befremden, wie frau die deutsche Sprache instandbesetzt ... Am Mauerwerk, dem Wortschatz, wird zur Zeit viel geklopft und geprüft, was noch brauchbar ist, was hinaus und was wo neu eingesetzt werden soll“, schreibt Luise F. Pusch in ihrem Buch „Das Deutsche als Männersprache“. Machen wir ernst mit der Instandbesetzung der Sprache und lassen die Tiefe da, wo sie hingehört: im Reich der Biologie. Heide Soltau