Mit dem Kopf unterm Arm zur Arbeit

■ Frauen jammern mehr als Männer, sind wehleidiger und häufiger krank / Arbeitswissenschaftliche Untersuchungen widerlegen diese Vorurteile, doch bei Ärzten und Arbeitgebern sind sie noch fest verankert / Höhere Krankheitsrate nur in den typischen Frauenberufen

Von Viola Falkenberg

„Das globale, offensichtlich nicht ausrottbare Vorurteil eines frauenspezifisch höheren Krankenstandes ist nicht haltbar“, stellte Bodo Scharf vom Wirtschafts– und Sozialwissenschaftlichen Institut des DGB im Januar 1985 fest. Trotzdem werden Frauen wegen ihrer angeblichen Neigung zu Krankheit und Wehleidigkeit von Personalchefs für anspruchsvolle Tätigkeiten seltener eingestellt. Dabei wird in einer breit angelegten Studie zur Arbeitsunfähigkeit durch den Bundesverband der Betriebskrankenkassen festgestellt, daß Frauen sogar seltener arbeitsunfähig sind als Männer. Mit einer Ausnahme: Bei der Gruppe der 40–49jährigen Frauen sind die Arbeitsunfähigkeitsfälle infolge zum Beispiel von Krebs doppelt so hoch wie die der vergleichbaren männlichen Altersgruppe. Auch in einigen Berufsgruppen, besonders den „typischen Frauenberufen“ sind Frauen häufiger krank als ihre Kollegen. Dagmar Bürkhard und Maria Op pen vom Wissenschaftszentrum Berlin fanden heraus, daß Frauen innerhalb dieser Berufsgruppen meist an Arbeitsplätzen eingesetzt werden, die durch geringe Qualifikationsforderungen, geringe Kooperations– und Kommunikationschancen hohe Belastungen und Gesundheitsrisiken gekennzeichnet sind. Daß Frauen die schlechteren Arbeitsbedingungen haben, zeigt sich auch daran, daß von den knapp drei Millionen Industriearbeiterinnen über 90 Prozent als un– und angelernte Kräfte tätig sind und nur sechs Prozent als Facharbeiterinnen. Dies liegt nicht allein daran, daß Frauen schlechter ausgebildet sind, sondern auch daran, daß sie von den Personalchefs bevorzugt mit berufsfremder Vorqualifikation eingestellt werden. Die Frauen sind dann überqualifiziert für ihre Arbeit, haben aber den Status und Lohn von ungelernten Kräften. In der Studie „Sind Frauen häufiger Krank? - Arbeitsunfähigkeitsrisiken erwerbstätiger Frauen“ kommen die Berliner Wissenschaftlerinnen zu dem Ergebnis, daß „Frauen im Bereich qualifizierter Angestelltentätigkeiten ebenso niedrige Arbeitsunfähigkeitsquoten aufweisen wie Männer“. Wie ist es nun aber zu erklären, daß Frauen in der Regel die schlechteren Arbeitsbedingungen und häufig auch noch die Doppelbelastung durch Hausarbeit und Kindererziehung haben und trotzdem seltener krank sind? In einer Befragung von 1.000 Frauen fand. Dr. Sabine Bartholomeyczik vom Bundesgesundheitsamt heraus: „Berufstätige Frauen, vor allem gerade die Mütter in dieser Untersuchung, vermeiden die Begleitverhaltensweisen von Krankheiten so gut wie möglich. Sie gehen möglichst nicht zum Arzt und lassen sich möglichst nicht krank schreiben.“ Daß die Frauen möglichst noch mit dem Kopf unterm Arm zur Arbeit gehen, führt sie darauf zurück, daß sie sich zu Hause ohnehin nicht erholen könne. Sabine Bartholomeyczik kommt in der Untersuchung „Erwerbstätigkeit, Familienarbeit und Gesundheit bei Frauen“ zu dem Schluß: „Wenn diese Frauen Beschwerden angeben, dann han delt es sich eher um Untertreibungen. Wenn diese Frauen arbeitsunfähig sind, dann können sie nicht mehr anders.“ Von einer besonderen Wehleidigkeit und Klagsamkeit der Frauen kann also keine Rede sein. Vielmehr müßten Frauen, die mit Beschwerden dann endlich zum Arzt gehen, besonders sorgfältig untersucht werden. Aber, so Dr. Sabine Bartholomeyczik: „Die Vorstellungen von Frauen und Gesundheit sind noch immer vor allem mit „leidenden Frauen“ verbunden. Das betrifft vor allem die vegetativen Beschwerden, wie leichte Erregbarkeit, leichtes Schwitzen, Konzentrationsstörungen, Kreislaufstörungen u. ä.. Die Vorstellungen von „leidenden Frauen“ sitzen bei den Ärzten so tief, daß sie Frauen weniger genau untersuchen als Männer, die mit den gleichen Symptomen zum Arzt gehen. Bei Frauen ist es immer nichts richtiges.“ Sie stellt weiter fest: „Die vegetativen Beschwerden spielen bei jeder fünften Frau eine Rolle. Sie scheinen aber eher ein allgemeines Krankheitsempfinden auszu drücken, als als „Klagsamkeit“ für sich alleine zu stehen.“ Außerdem hätten auch hier die angeblich so sensiblen Mittelschichtsfrauen - in der Untersuchung des Bundesgesundheitsamtes die Beschäftigten im Krankenhaus - wesentlich weniger Probleme damit als die Arbeiterinnen. Auch die Vermutung, daß Frauen sich zwar kranker fühlen, aber objektiv gesünder sind, daß sie klagsamer sind und Leidenstendenzen eher wahrnehmen und äußern als Männer, ist also schlicht falsch. Und was hat es mit den frauenspezifischen Beschwerden auf sich? Mit den Kreislauf– und Menstruationsstörungen, den Kopf– und Bauchschmerzen, den Rücken– und Nackenverspannungen? Von den Medizinern werden diese „Beschwerden“ am liebsten als psychosomatisch bezeichnet und mit dauernd einzunehmenden Medikamenten behandelt. Wenns hochkommt, hört frau den Tip „Sie sollten sich etwas schonen oder autogenes Training machen.“ Der enge Zusammenhang zu den Arbeitsplätzen der Frauen oder gar der Hierarchie im Betrieb wird nur selten hergestellt. Dabei leiden nach der Untersuchung des Bundesgesundheitsamtes fast zwei Drittel der Näherinnen, Montiererinnen und Krankenschwestern unter Rücken– und Nackenschmerzen. Sicher kein Zufall, sondern auf die Zwangshaltung bei der Arbeit und das schwere Heben und Tragen von Patienten zurückzuführen. Unter Kreislaufstörungen leidet fast jede dritte befragte Frau. Bei den Industriearbeiterinnen sind dies fast doppelt soviele wie bei den Krankenschwestern - wobei die Elektromontiererinnen die Spitze bilden. Auch von Kopfschmerzen, unter denen noch mehr als jede vierte leidet, sind es vor allem die Elektromontiererinnen und Näherinnen. Ähnliches gilt auch für Bauchschmerzen und Menstruationsstörungen. Viola Falkenberg Literatur zum Thema: „Sind Frauen häufiger krank? - Arbeitsunfähigkeitsrisiken erwerbstätiger Frauen“, Dagmar Bürkhardt, Maria Oppen, kostenlos zu erhalten beim Wissenschaftszentrum Berlin, Steinplatz 2, 1 Berlin 12. „Erwerbstätigkeit, Familienarbeit und Gesundheit bei Frauen“, Untersuchung des Institutes für Sozialmedizin und Epidemiologie beim Bundesgesundheitsamt Berlin. „Was macht Frauen krank? - Ansätze zu einer frauenspezifischen Gesundheitsforschung“, herausgegeben von Ulrike Schneider, Campus Verlag (für Theoriefreaks) „Von allem die Hälfte - Frauen im Beruf“, Marianne Resch, Martina Rummel, Bund–Verlag Köln (gute Argumente–Sammlung, auch für die praktische Arbeit in Betrieben geeignet). Mamma mia!