Peru: Ein Verbrechen bleibt ungesühnt

■ Vor einem Jahr wurden in Lima nach einem Gefängnisaufstand an die 300 Häftlinge erschossen - die allermeisten, nachdem sie sich ergeben hatten / Kundgebung des „Leuchtenden Pfades“ in Lima ohne Zwischenfälle abgehalten

Aus Lima Thomas Schmid

Vor und hinter dem Regierungspalast waren Panzerwagen aufgefahren. Die Plaza de Armas, der Hauptplatz im Zentrum der Stadt, war weiträumig abgesperrt, der Justizpalast vorsorglich seit zwei Tagen fürs Publikum geschlossen, sämtliche Demonstrationen waren untersagt. Der Rest normal: Belagerungszustand und nächtliche Ausgangssperre. Das offizielle Peru bereitete sich am Freitag auf den ersten Jahrestag der Massaker in den Gefängnissen von Lurigancho, El Fronton und El Callao vor. Zur Erinnerung: Am 19. Juni 1986 - kurz vor der Eröffung eines Gipfeltreffens der sozialistischen Internationale in Lima, meuterten in drei Gefängnissen der peruanischen Hauptstadt die Gefangenen des „Leuchtenden Pfades“, einer Guerillaorganisation, die 1980 der Regierung den Krieg erklärt hat, der bis heute andauert und etwa 10.000 Opfer gefordert hat. Armee und Polizei schlugen die Aufstände nieder. In Lurigancho starben alle 124 Aufständischen, mindestens Hundert von ihnen wurden durch einen Schuß ins Genick oder in den Mund ermordet, nachdem sie sich ergeben hatten und bereits am Boden lagen. „Soldaten, Polizisten der republikanischen Garde und maskierte Offiziere führten die Tötungen unter Aufsicht eines Armeegenerals aus. Die Leichen wurden heimlich begraben, einige fand man später auf bis zu 250 Kilometer von Lima entfernten Friedhöfen“, heißt es in einem Bericht von Amnesty International. Während die Meuterer in Lurigancho unbewaffnet waren, gelang es den Gefangenen auf der Insel El Fronton, zehn Kilometer vor Limas Hafen, sich einiger Gewehre zu bemächtigen. Es kam zu einem mehrstündigen Gefecht. Von den 154 Gefangenen sollen 25 überlebt haben. Der Rest kam unter den Trümmern des Gefängnisses um. Diese Gefangenen, deren überleben nie bestätigt wurde, wurden von El Fronton direkt in geheime Haft in einen Marinestützpunkt auf dem Festland gebracht. „Nur die Behörden wissen, was danach mit den Gefangenen geschah“, stellt die Menschenrechtsorganisation fest. Perus Präsident Alan Garcia, Führer der nationalistischen–populistischen APRA, die der sozialistischen Internationale nahesteht, hatte wohl die militärische Niederschlagung der Aufstände angeordnet, nicht aber die Ermor dung von Gefangenen, die sich bereits ergeben hatten. Nachdem das Ausmaß des Massakers bekannt geworden war, kündigte der Präsident an: „Entweder gehen die Schuldigen oder ich.“ Doch Alan Garcia ist geblieben, obwohl weder Armeegeneral Jorge Rabanal Portilla, unter dessen Kommando in Lurigancho die Genickschüsse fielen, noch ein einziger Offizier der Marine, die den Aufstand in El Fronton niederschlugen, zur Rechenschaft gezogen wurde. In El Fronton gibt es bis heute noch nicht einmal einen offiziellen Bericht. Am Freitag blieb Lima ruhig. Die meisten Bürger brachten sich vor Einbruch der Dunkelheit in Sicherheit. Zahlreiche Geschäfte schlossen vorzeitig ihre Pforten. Überall Verkehrschaos und überfüllte Busse. Innenminister Salinas hatte in einem stündlich in Fernsehen und Rundfunk ausgestrahlten Kommunique prophezeit, daß „die Terroristen“ zwischen 20.00 und 21.00 Uhr die Stromversorgung der Hauptstadt zu attackieren versuchen würden, um dann im Schutz der Dunkelheit und des allgemeinen Durcheinanders Gewalt und Zerstörung über die Stadt zu bringen. Davon unbeeindruckt fanden sich auf dem Universitätsgelände von Lima am Freitag abend etwa 500 Personen zu einer Kundgebung zusammen, um der „Gefallenen der Gefängnisse“ zu gedenken. Vor einer auf halbmast gehißten Fahne mit Hammer und Sichel wurde eine Botschaft von Abimael Guzman alias „Presidente Gonzalo“, dem Führer des „Leuchtenden Pfades“, verlesen. Der ehemalige Soziologie–Professor hatte die Message an seine Anhänger unter das Motto „das Leben für die Partei und die Revolution hingeben“ gestellt. „Sieg im Volkskrieg“, begrüßten die Anwesenden die Botschaft ihres Herrn. Vermummte verteilten Flugblätter des „Leuchtenden Pfades“. Eine gespenstische Szene, die von den Soldaten, die das Unigelände umstellt hatten, allerdings nicht gestört wurde.