Pershing 1a ist militärisch nutzlos

■ Über die Bedeutung der 25 Jahre alten Kurzstreckenraketen, die die Bundesregierung vor dem Schrotthaufen bewahren will, herrscht kaum Zweifel / TASS: Bundesdeutsche Forderung wird den Verhandlungsprozeß verlangsamen / UdSSR will raketenfreies Alaska

Aus Washington Stefan Schaaf

Ob Ronald Reagan doch noch als „Friedenspräsident“ in die Annalen eingehen wird, hängt gegenwärtig zu einem guten Teil von Helmut Kohl ab. Ist es doch die Bundesregierung, die mit ihrem Beharren auf 72 Uralt–Raketen vom Typ Pershing 1a das sich abzeichnende Abkommen über Mittelstreckenwaffen (INF) in Gefahr zu bringen scheint. Während die Reagan–Administration bereits laut über ein mögliches Datum spekuliert, an dem auf einem Gipfel in Washington der Raketenvertrag unterzeichnet werden könnte, steht Bonn auf der Bremse. Doch dieser Widerstand sei eher „symbolisch“ und die Bedeutung der Pershing 1a sei viel eher „eine politische als eine militärische“, sagte Dunbar Lockwood, Rüstungskontrollexperte beim Washingtoner „Center for Defense Information“ in einem Gespräch mit der taz. Während des Gipfeltreffens in Venedig hatte ein ungenanntes Mitglied der Reagan–Administration gewarnt, daß der Konflikt um die Pershing 1a ein INF–Abkommen „zum Scheitern bringen“ könnte. Doch der anonyme Sprecher äußerte die Hoffnung, daß die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik einen Abrüstungsvertrag für wertvoller erachten werde als einen politischen Erfolg der Bundesregierung. Weniger bedrohlich sah die sowjetische Nachrichtenagentur TASS den Streit um die Pershing 1a, die bundesdeutsche Forderung werde den Verhandlungsprozeß „komplizieren und verlangsamen“ - mehr aber offenbar nicht. Die westliche Forderung nach einem Ausschluß der Pershing 1a aus dem Raketen–Deal ist nur eine von vier offenen Fragen, die die Unterhändler in Genf vor einer Ratifizierung eines Abkommens klären müssen. Lockwood nannte als zweiten wichtigeren Konflikt die sowjetische Forderung, daß die 100 in den USA verbleibenden Mittelstreckenwaffen auf keinen Fall in Alaska stationiert werden dürften, von wo aus sie den Ostteil Sibiriens bedrohten. Die US–Ad ministration hat zwar nicht gesagt, daß sie dies plane, möchte sich aber das Recht dazu vorbehalten. Reagans Unterhändler verlangen darüber hinaus, daß die UdSSR ihre verbleibenden Mittelstreckenraketen nicht nur jenseits des Urals, sondern hinter den 80. Längengrad zurückziehen soll. Die dritte offene Frage betrifft die Verifizierung eines INF–Abkommens, unklar sei bisher noch, wie weit die gegenseitigen Inspektionsrechte gehen sollten. Als vierten Punkt nannte Lockwood den Rahmen für einen Bann von Kurzstrecken–Atomraketen. Wenn die US–Position sich durchsetze, diese Waffen global zu verbieten, müßte die Sowjetunion 40 ihrer SS–12–Raketen von der chinesisch–sowjetischen Grenze abziehen und verschrotten, die sie aber gerne dort belassen möchte. „Die Pershing 1a und die Stationierung der Raketen in Alaska sind Punkte, an denen die Reagan–Administration wohl am leichtesten Zugeständnisse machen könnte“, schätzt Lockwood, „denn die Pershing 1a ist 25 Jahre alt und ihr militärischer Wert ist sehr fragwürdig.“ Fragwürdig ist für ihn auch das von Bonn und Washington vorgebrachte Argument, diese 72 Raketen seien „Systeme eines Drittlandes“ analog der französischen und britischen Atomwaffen, und deswegen außerhalb der Verhandlungen zu bewerten. „Schließlich kontrollieren die USA die Sprengköpfe.“ Welche Konsequenzen diese westliche Argumentation haben könnte, hat der sowjetische Sprecher Gerassimov vor wenigen Tagen verdeutlicht. Auf einer Pressekonferenz in Moskau sagte er: „Theoretisch gesehen, kann man sich eine Situation vorstellen, in der die Warschauer–Pakt–Verbündeten der Sowjetunion in ihren Ländern SS–12–Raketen aufstellen und die Sowjetunion ersuchen, dafür die Sprengköpfe zu stellen.“ Außerdem habe Bonn sich im Atomwaffensperrvertrag verpflichtet, keine Nuklearwaffen zu besitzen. Schon deswegen seien die Pershing 1a–Sprengköpfe unter US–Kontrolle und müßten folgerichtig mit den übrigen Kurz– und Mittelstreckenwaffen eliminiert werden.