Der Widerstand ist zur Hydra geworden

■ US–Druck und Olympiadebatte verstärken die Forderungen der Opposition in Südkorea

Am heutigen Montag fällt in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul die Entscheidung über das weitere Vorgehen gegenüber der immer stärker werdenden Opposition. Wurde am Freitag nach zehntägigen Straßenkämpfen zwischen Polizei und Studenten noch über die Ausrufung des Kriegsrechts spekuliert, erscheint nun ein zumindest partieller Kompromiß der Opposition nicht mehr unwahrscheinlich. Nach dem Besuch des US–Beauftragten Sigur ist eine politische Lösung zu erwarten. Der gutgekleidete Herr im mittleren Alter nimmt mein Notizbuch zur Hand und beginnt zu malen. Mit einem dicken Strich durchschneidet er die gurkenförmige koreanische Halbinsel. „Wegen des US–Imperialismus kann sich das südkoreanische Volk derzeit nicht wiedervereinen“, meint er. So eindringliche Töne hätte ich eigentlich nicht erwartet, denn immerhin sitzen wir im Haus der südkoreanischen katholischen Kirche. Mit zwei dicken Punkten markiert er die Städte Busan und Seoul. „Hier sind die Zentren des Widerstandes“, sagt er. Eine dünnere Eintragung in die handgefertig Landkarte markiert die Millionenstadt Kwangju im Südwesten der Republik Korea. „Dort sind die Leute am zornigsten und sitzt der Haß am tiefsten.“ Daneben zeichnet er drei Säulen, die illustrieren, was er in schlechtem Englisch als „the movement“ bezeichnet wissen will: die Oppositionspartei, den legalen und halblegalen Widerstand um Kirche und Verbände und schließlich den Untergrund. Breiter Widerstand Der Widerstand gegen den „Spitzel– und Polizeistaat des südkoreanischen Präsidenten“, wie es unlängst sogar in ungewohnter Schärfe die ARD–Tagesschau bezeichnete, ist schon lange nicht mehr nur auf den tränengasreichen Kampf der Hochschüler gegen Polizei beschränkt. Im Gegen teil: Seit mehreren Jahren ist die südkoreanische Gesellschaft von einem Netz von Kirchen– und Gewerkschaftsgruppen, von Bauerninitiativen und Bürgerkomitees durchzogen, die dem amtierenden Regime von Präsident Chun und seiner demokratischen Gerechtigkeitspartei (Democratic Justice Party - DJP) das Leben schwer machen. Seit 1985 vergeht kein Tag, an dem nicht aus irgendeinem Teil des Landes von Aktionen berichtet wird. Mal wehren sich Slumbewohner gegen die Räumung ihrer Quartiere, dann treten Arbeiter gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Fabriken in den Ausstand, oder buddhistische Mönche belagern einen Tempel und werden von Polizeieinheiten mit Tränengas und Knüppeln aus ihrer Andachtsstätte getrieben. „Der Widerstand ist zur Hydra geworden“, fand gar ein oppositioneller Abgeordneter. „Wenn man ihr einen Kopf abschlägt, wachsen zwei nach.“ Das charakterisiert die Situation sehr genau. Wo Regierung und Polizei zuschlagen, säen sie nur neue Aktionen. Werden junge Studenten nach Demonstrationen verhaftet und gefoltert, so erheben sich mit Sicherheit die Angehörigen, versuchen Prozesse platzen zu lassen, organisieren Sit–ins und Straßendemonstrationen. Trotz allgegenwärtiger Spitzel– und Polizeikontrollen hat die Opposition ein gutfunktionierendes Widerstandssystem aufgebaut, dessen Großaktionen zwar oft von Studenten angekurbelt werden, das aber trotzdem ein reges Eigenleben führt. Kirche im Widerstand Eine überaus wichtige Rolle spielen dabei die christlichen Kirchen des Landes, deren Bedeutung weit über die 25 Prozent Christen unter den 40 Mio. Südkoreanern hinausgeht. Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche haben in ihren Zentren in Seoul Büros für Farmerfragen, Arbeiter, Gewerkschaften und Studenten eingerichtet. Dort wird zwar zunächst einmal praktische Sozialarbeit geleistet, doch niemand zweifelt daran, daß auch die politische Widerstandsarbeit dort organisiert wird. „Wir sind die einzige Organisation, die halbwegs legal arbeiten und Oppositionsgruppen mittragen kann, ohne von der Polizei ausgemerzt zu werden“, erzählt ein Sprecher des Komitees der Kirchen. In einem zutiefst konfuzianischen Staat wie Südkorea würde es die Regierung nie wagen, eine allseits akzeptierte Autorität wie die Religionsgemeinschaften anzugreifen. War die Arbeit in der Vergangenheit von vielen lokalen Priestern als Sozialarbeit vor Ort verstanden worden, so hat das Oberhaupt der katholischen Kirche, Kardinal Kim Su Hwan, bereits zu Ostern klare politische Position bezogen und das amtierende Regime energisch zur Änderung der Politik aufgefordert. Neben den beiden christlichen Kirchen engagieren sich aber in den letzten Monaten auch die buddhistischen Mönche und Nonnen im Kampf gegen die Diktatur. Buddhistische Mönche in ihren grauen Kutten, die zwischen Studenten in Tränengasschwaden der Polizeieinheiten zur Aufstandsbekämpfung eingenebelt werden, sind keine Seltenheit mehr. Im letzten September hatten 2.000 Mönche den Hae–In–Tempel in Seoul besetzt und von der Regierung eine Wiederherstellung der Demokratie und die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert. Nicht selten treten Mönche in Südkorea für politsche Ziele in den Hungerstreik. Neue Allianz Die Aufgabe, all diese Aktivitä ten zu koordinieren, hatte sich das „Komitee zur Wiederherstellung der Demokratie“ gesetzt. Es war 1985 als Dachverband des legalen Widerstandes aus 23 Gruppen gegründet worden. Seit aber im letzten Jahr der Leiter des Zusammenschlusses, Pfarrer Moon Ik Hwan, für drei Jahre eingekerkert wurde, hat das Komitee an Durchschlagskraft verloren. Moon verfügte als einer der wenigen wichtigen Dissidenten Südkoreas über wirklich ausgezeichnete Kontakte zu Studentengruppen im Untergrund. Daß die Studenten eine Aufstands–Bewegung initiieren können, hat sich in der südkoreanischen Geschichte schon mehrmals gezeigt. Im Jahre 1960 zwang ein Studentenaufruhr, der zur landesweiten Rebellion auswuchs, den damaligen Diktator Syngman Rhee in die Knie. Auch der Militärmachthaber Park wäre 1974 um ein Haar von einem Volksaufstand hinweggefegt worden, der von Studenten ausgelöst wurde. Und selbst als 1980 die Stadtbevölkerung in Gwangju sich bewaffnet hatte, um der Machtergreifung des jetzigen Präsidenten Chun Doo Hwan entgegen zu treten, waren Studentenproteste der Anfang gewesen. Ein ähnliches Ziel könnte auch die Gründung der „Allianz für eine demokratische Verfassung“ am 27. Mai verfolgt haben. In der knapp 40jährigen Geschichte des Landes ist das der erste Zusammenschluß aller Dissidentengruppen im Lande. Sie fordern eine demokratische Verfassung, die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen und „eine Neutralisierung der Militärs“. Die Allianz war die Gruppe gewesen, die vor zehn Tagen die Studenten in Seoul auf die Straße rief. Jürgen Kremb