Anti–Atom–Demo in Paris

■ 10.000 Teilnehmer bei größter Anti–AKW–Demo Frankreichs seit fünf Jahren / Franzosen blieben bei der gesamteuropäischen Demo weitgehend unter sich

Aus Paris Georg Blume

Etwa ein Jahr ist es her, seit ein paar hundert französische AKW– Gegner desorientiert durch den Pariser Verkehr irrten, um ihre Empörung über die Fortsetzung der Atompolitik nach Tschernobyl Luft zu machen. Niemand nahm damals von ihnen Notiz. An diesem Samstag waren die Nukleargegner in Pariser Stadtbild nicht mehr zu übersehen. Die Überraschung ist da: 10.000 Demonstranten mit dem alten Slogan „Gegen das Atom, ob zivil oder militärisch“ auf der Straße, das hat Frankreich seit 1981, als es noch um den Bau des AKWs Plogoff ging, nicht mehr erlebt. „Wir erwachen heute aus der Letargie“, sagte der Psychoanalytiker Felix Guattarie an der Spitze des Demonstrationszuges. Neben ihm spricht Jean–Claude Le Scornet, Vorsitzender der kleinen links–sozialistischen „Parti Socialiste Unifie“ (PSU) von der „Wiederkehr der französischen Anti–AKW–Bewegung“. Fortsetzung auf Seite 6 Solch große Worte verraten einen Optimismus, der in der französischen Alternativ–Szene schon seit geraumer Zeit nicht mehr anzutreffen war. Dabei war die Idee von einer Großdemonstration in Paris nicht in Frankreich entstanden. In Luxemburg hatte der dortige Parlamentsabgeordnete Jean Hsse, getroffen von der französischen Apathie in Sachen Cattenom, die Initiative ergriffen. Vielleicht war dieser Druck von außerhalb notwendig, um am Samstag erstmalig die untereinander zerstrittenen ökologischen und linksalternativen französischen Gruppierungen, von den konservativen Grünen (Lesverts) bis zu Anarchisten und kommunistischen Renovateuren zusammenzubringen. Bedeutung während der Vorbereitungen der Demonstration kam auch den Organisationen des sogenannten „Regenbogenappells“ zu, die versuchen, in Frankreich eine links–ökologische politische Bewegung zu formieren. Guattarie und Le Scornet gehören zu den Unterzeichnern des Appells. „Die politische Landschaft in Frankreich ist gereinigt“, erklärt Guattarie den Erfolg des Tages. „Wir haben eine neue Situation: der Glaubwürdigkeitsverlust der Sozialisten ist mehr denn je offenkundig, und die seit langem notwendige Kritik an der kommunistischen Partei hat mit den Renovateuren, die nun an unserer Seite stehen, erstmals eine öffentliche Bestätigung erfahren.“ Nach den Vorstellungen von Jean Hsse sollte es in Paris eine europäische Kundgebung werden. Allerdings waren lang nicht soviele Westdeutsche gekommen wie erwartet. Und darüber sind am Samstag alle Seiten froh. „Ich hatte große Bedenken, daß es hier zu einer massiven deutschen Invasion kommt“, berichtet erleichtert die Bonner Europaabgeordnete der Grünen, Dorothee Piermont. „Das wäre dramatisch geworden“, ergänzt Jean–Claude Le Scornet. „Es ist nunmal nicht akzeptabel, daß uns Deutsche in Paris eine Lektion erteilen.“