Gold und Klunker für den Vizeminister

■ Korrupter sowjetischer Außenhandelsfunktionär muß für dreizehn Jahre ins Gefängnis / Der Vorwurf: Unterschlagungen und Westgeschäfte in Millionenhöhe / Im Gerichtsverfahren wird ein Korruptionssumpf aufgedeckt, an dem eigentlich niemand rühren möchte: Er gehört zum System

Aus Moskau Alice Meyer

Wer in der Sowjetunion Staatsknete veruntreut und in die eigene Tasche wirtschaftet, wird nicht mit Samthandschuhen angefaßt. Im Zuge der Antikorruptions– Kampagne, die sich vor allem gegen Bezieher von „nicht auf Arbeit beruhendem“ Einkommen richtet, geraten jetzt auch hohe Funktionäre des sowjetischen Außenhandelsapparates in die Mühlen der Justiz, prominentestes Opfer der Säuberungen im Außenhandelsministerium, ist der ehemalige stellvertretende Minister Wladimir Suschkow. Das oberste Gericht der UdSSR verurteilte den rüstigen Mittsechziger im Juni nach etwa einmonatiger Verhandlungsdauer wegen schwerer Wirtschaftsverbrechen - darunter passiver Bestechung, Unterschlagung und Veruntreuung von Staatsgeldern in Fremdwährungen, Urkundenfälschung - zu dreizehn Jahren Freiheitsstrafe. Rechtsmittel können gegen dieses Urteil nicht eingelegt werden, dem Angeklagten hatte sogar die Todesstrafe gedroht. Der Richterspruch kommt der politischen Führung nicht ungelegen. Mit dem 1. Januar 1987 haben 20 Ministerien und Zentralbehörden sowie über 70 Produktionsvereinigungen und Unternehmen das Recht erhalten, in eigenem Namen und auf eigene Rechnung Außenhandelsgeschäfte abzuschließen. Das war ein fast sensationelles Ereignis seit dem Ende der „neuen ökonomischen Politik“ der zwanziger Jahre. Das staatliche Außenhandelsmonopol jedoch, das früher weitgehend vom Außenhandelsministerium in eigener Regie wahrgenommen worden war, soll aufrechterhalten bleiben. Wer mit den Kapitalisten Handel treibt, bleibt Staatsdiener und verwaltet Fremd–Valuta und Rubel „in staatlichem Interesse“. An Suschkow wurde ein Exempel statuiert, um den vielen neuen Außenhändlern aus Behörden und Unternehmen gleich frühzeitig zu zeigen, was ihnen bei ähnlichen Straftaten blühen würde. Sozialistische Moral Das oberste Gericht der UdSSR hielt Suschkow zahlreicher Verbrechen für überführt. Vor allem ist erwiesen, daß der stellvertretende Minister von westlichen Firmenvertretern umfangreiche Bestechungsgelder und üppige Geschenke annahm, wenn es um die Vergabe von Großaufträgen ging. Die italienische Firma Pressindustria, die 1981 kurz vor dem finanziellen Bankrott stand und dringend auf einen Millionen– Kontrakt mit den Sowjets angewiesen war, schmierte den Vize– Minister mit Geschenken im Gesamtwert von 130.000 Rubel. Die Mailänder Anlagenbaufirma hatte auf Veranlassung Suschkows von der Außenhandelsorganisation „Lizensintorg“ einen fetten Auftrag über die Lieferung von Ausrüstungen für die Alkylbenzolproduktion erhalten. Der geschäftstüchtige PressindustriaManager Paolo Straneo, der im Prozeß gegen Suschkow als Zeuge auftrat, schilderte die Korruptionsaffäre haargenau und legte sogar die Rechnungsbelege feiner italienischer Geschäfte vor, in denen für den sowjetischen Freund des Hauses eingekauft worden war. Er gab dem Gericht - wie ein sowjetischer Prozeßbeobachter notierte - keine Rätsel auf: „Er handelte nach den Gesetzen seiner bourgeoisen Moral, er lebt in einer Welt, in der alles mögliche käuflich und verkäuflich ist“. Dem hohen Außenhandelsfunktionär Suschkow wurde seine Lebensphilosophie (“bjeri, taschtschi, chwataj - nimm, laß mitgehen, greif zu“) im Sowjetstaat dagegen zum Verhängnis. Zu den Merkwürdigkeiten des Prozesses gehörte, daß nur Suschkow, seine Frau Walentina und sein persönlicher Referent Kusminych auf der Anklagebank saßen. Walentina, selbst lange Zeit hindurch als leitende Sachverständige im Staatskomitee für Wissenschaft und Technik tätig gewesen, hatte sich an den Auftragsschiebereien zugunsten spendierfreudiger Kapitalisten beteiligt und ihrem Mann für zahlreiche seiner insgesamt 120 Auslandsdienstreisen detaillierte Listen derjenigen Waren zugesteckt, die er mitbringen sollte. Kusminych leistete Mithilfe bei der Veruntreuung von Valuta– Mitteln: Er beschaffte im Ausland bei Taxifahrern und Oberkellnern gefälschte Quittungen und sonstige fingierte Rechnungen über Fahrt– und Bewirtungskosten in New York, Paris, Tokio usw. Das Bargeld, das der jeweiligen sowjetischen Handelsdelegation unter Leitung Suschkows für die Deckung der Aufwendungen für Repräsentation, Fahrten usw. mitgegeben worden war, konnte so verhältnismäßig einfach beiseite geschafft und für den illegalen Erwerb von westlichem Glitzerkram verwendet werden. Zahmer Zoll Unter die „rechtsungültigen“ Dokumente, mit denen die Devisenunterschlagungen getarnt wurden, setzten sowjetische Handelsdelegierte im Ausland, Referenten und Übersetzer bedenkenlos ihre Unterschrift. Ihre Akzeptie rung im Inland durch die Buchhalter des Außenhandelsministeriums war dann nur noch eine Formsache. Auch Kusminych durfte sich bedienen: Er verscherbelte mitgebrachte Radio– und Videoapparate in einem Moskauer Kommissionsladen im Gesamtwert von 12.000 Rubel. Auf Suschkow wartete am Flugplatz Scheremetjewo stets ein geräumiger Klein– LKW vom Typ R.A.F. - ein „Wolga“–PKW war für die Schmuggelware zu klein. Den sowjetischen Zoll - der so manchen In– und Ausländer bei den Gepäckkontrollen das Fürchten lehrt - brauchte der Vize–Minister nicht ernst zu nehmen. Die Zollinspektoren - deren Behörde dem Außenhandelsministerium unmittelbar unterstellt war - machten einen hochachtungsvollen Bogen um das ministeriale Gepäck. Man hatte schlicht Angst, ein hohes Tier der eigenen vorgesetzten Behörde zu filzen. Datscha als Warenlager Der Fall Suschkow kam ins Rollen, als der aus dem Geschäftsbereich des Außenhandelsministeriums gerade erst herausgelöste sowjetische Zoll beim persönlichen Referenten des Vizeministers auf dem Flughafen Scheremetjewo dann doch einmal fündig wurde: Schmuck und Edelsteine, Videogeräte und andere wertvolle Mitbringsel von einer kurzen Dienstreise nach Japan. Der Minister– Gehilfe Kusminych wurde in Haft genommen, bald darauf auch sein Chef selbst. Suschkow war kurz vor der Festnahme noch auf seine große Datscha vor Moskau geeilt und hatte auf dem Grundstück zahlreiche Kaffeedosen mit Juwelen und Dollars verbuddelt. Aber alles war vergebens, Haussuchungen dort und in seiner Moskauer Wohnung brachten es ans Tageslicht: 1.545 Goldbroschen, mit Brillanten besetzte Klunker, anderen Schmuck im Gesamtwert von einer Million Rubel fanden die Ermittler, außerdem Wertgegenstände für 500.000 Rubel. (Der durchschnittliche Jahresverdienst eines sowjetischen Werktätigen beträgt derzeit ungefähr 2.500 Rubel.) Nicht einmal nahe Verwandte hatten von der geräumigen Dat scha gewußt, in ihre Stadtwohnung, die mit Kisten und Kasten vollgestopft war, ließen die Suschkows niemanden hinein. Die sowjetische Presse behandelt die Frage, wie es möglich war, daß der stellvertretende Minister seine Raffgier und sein „Schmarotzertum“ so lange unbehelligt ausleben konnte, mit großer Vorsicht. Geschäftspraktiken wie die der Firma „Pressindustria“ sind in der UdSSR kein Einzelfall, viele Geschäftsverbindungen und Aufträge stehen und fallen mit persönlichen Beziehungen zu sowjetischen Handels– und Wirtschaftsfunktionären. Nachhilfe durch Geschenke ist nicht selten. Die Außenhändler machen aus ihren Export–Import–Operationen eine Art schwarze Kunst, und die übrigen Wirtschaftsleute verstehen eh nichts von der Materie. Die äußeren Erfolgszahlen des Außenhandelsministeriums waren lange Jahre dank des florierenden Erdöl– und Erdgasgeschäfts auch beeindruckend. Der wirtschaftliche Schaden aus falschen und rechtswidrigen Importentscheidungen einzelner konnte so vom Ministerium leicht vertuscht werden. Ämterpatronage und Liebesdienerei taten ein übriges. Nachdem das „gefährliche Eitergeschwür“ - so die Wortwahl eines sowjetischen Prozeßbeobachters - aufgestochen worden ist, drohen weiteren hohen Chargen des Außenhandelsministeriums Maßregelungen und Strafverfolgungen. Doch die Motivsuche geht nicht auf den Grund. Denn das, was die Moskauer Außenhandelsorganisationen einführen, spiegelt haargenau das ausgetüftelte Privilegiensystem wider. Privilegiensystem West–Pharmazeutika und Medizintechnik für die sog. „Vierte Abteilung“ der Gesundheitsministerien auf Unions– und Republiksebene, die ihrerseits Krankenhäuser beliefern, die ausschließlich dem exklusiven Patientenkreis der „Nomenklatura“ offenstehen, die Ausgabe von Devisengutscheinen für Einkäufe in Sonderläden an berechtigte Sowjetbürger durch die Außenhandelsorganisation „Wnjeschpossyltorg“ (die sich in Moskau ausgerechnet in der „Marksistskaja Uliza“, in der marxistischen Straße also, niedergelassen hat), Zukäufe von teuren Kosmetika und Textilien aus dem Westen, die sich nur vermögende Verbraucherschichten der Sowjetgesellschaft leisten können, all das belegt, daß die Korruption im sowjetischen Außenhandelssystem strukturell angelegt ist. Und wer möchte daran rühren? Eines jedoch ist sicher: Der Vizeaußeminister kommt nicht so bald wieder frei. Ein am Wochenende veröffentlichter Amnestie– Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets nimmt ausdrücklich diejenigen Strafhäftlinge aus, die wegen „besonders gefährlicher Staatsverbrechen“ oder wegen Diebstahls oder „Unterschlagung von staatlichem Vermögen in besonders großem Umfang“ sitzen. Und 13 Jahre sind kein Pappenstiel.