Scheel soll Hattinger Hütte retten

■ Offener Brief an den „neutralen“ Mann im Aufsichtsrat bei Thyssen–Stahl / „Massenarbeitslosigkeit verletzt Grundgesetz“ / Heute entscheidet der Aufsichtsrat über das Schicksal der Region

Berlin (taz) - Anläßlich der heutigen Sitzung der Thyssen Stahl AG hat die Initiative „Solidarität gegen Arbeitslosigkeit - für Vollbeschäftigung“ in einem Brief an den ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel appelliert, einer Stillegung der zu Thyssen gehörigen Hütte in Hattingen „und anderswo“ nicht zuzustimmen. Scheel ist „neutrales“ Mitglied der Thyssen Stahl AG in Duisburg. Er hatte am Wochenende in einem Interview die Meinung geäußert, die Stillegung unrentabler Anlagen sei unvermeidlich. Seit dem Wochenende befinden sich in Hattingen mehrere Frauen im Hungerstreik, um gegen die geplante Schließung zu protestieren. In Dortmund demonstrierten am Montag einige Tausend Hoesch–Arbeiter gegen die Arbeitsplatzvernichtung in der Stahlindustrie. Bei Hoesch in Dortmund sollen bis 1990 etwa 4.000 Arbeitsplätze wegfallen. Der offene Brief der Initiative ist unterzeichnet von Pastor Heinrich Albertz, dem ehemaligen IG Metall–Vorstandsmitglied Hans Janßen, dem Schriftsteller Martin Walser und Professor Harald Mattfeld von der Hamburger Hochschule für Politik und Wirtschaft. Von einer Stillegung, so heißt es in dem Brief, wären nicht nur die unmittelbar bei der Hattinger Hütte Beschäftigten und ihre Familienangehörigen betroffen, sondern auch der gesamte Einzelhandel und das Handwerk. Auch im kommunalen und öffentlichen Bereich wären aufgrund der eintretenden Steuerausfälle Einsparungen und Entlassungen die Folge. An Scheel wird appelliert, sich dem mehrheitlichen Votum des Aufsichtsrats der Hattinger „Heinrichshütte“ von Anfang Juni anzuschließen. Scheel äußerte die Meinung, es komme darauf an, „betriebswirtschaftlich notwendige Entscheidungen sozialverträglich“ zu machen. Er drückte in dem Interview „eine gewisse Bitterkeit“ darüber aus, daß die BRD für die Weiterentwicklung des Airbus fünf Milliarden Mark bereitstelle, während beim Stahl mit 300 Millionen Mark vom Bund und 150 Millionen Mark vom Land Nordrhein– Westfalen 30.000 Arbeitsplätze erhalten werden könnten. marke 180 Mio. für 180 Krisenregionen Bonn (dpa/ap) - Die Bundesregierung stellt den von der Stahlkrise betroffenen Bundesländern zusätzliche Bundeshilfen in Aussicht. Für die Jahre 1988 bis 1990 will Bonn insgesamt 180 Millionen DM für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zur Verfügung stellen. Damit sollen wirtschaftsnahe Infrastruktureinrichtungen und Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden, teilte Wirtschaftsminister Bangemann (FDP) am Montag nach einer Sitzung des FDP–Präsidiums mit. Der Bund–Länder–Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe wird am 2. Juli über diesen Vorschlag zu entscheiden haben. Die Mittel der Regionalförderung sollen für die Montanstandorte Dortmund, Duisburg–Oberhausen, Bochum, Osnabrück, Salzgitter, Amberg, Schwandorf und Saarland eingesetzt werden. Die zusätzlichen Mittel gelten aber auch für die Arbeitsmarktregionen Pirmasens (Schuhindustrie), Bremerhaven (Werften/Fischerei) und Nordhorn (Textil).