I N T E R V I E W „Der Zeitpunkt ist nicht zufällig“

■ Gianni Baget Bozzo über die Hintergründe des Waldheim–Besuches bei Johannes Paul II. Baget Bozzo, 65, ist katholischer Priester und Hochschullehrer. Er leitete in den 60er Jahren die Zeitschrift Renovatio, trennte sich dann von seiner „christdemokratischen Heimat“ und rückte 1983 in Genua für die Sozialistische Partei ins Europaparlament ein. Da er weder seine politische Aktivität noch seine Kritik an Papst Johannes Paul II. aufgeben wollte, suspendierte ihn die Kirche „a divinis“ von seinen Kircenämtern. Baget Bozzo gehört zu den bestinformierten „Vatikanologen“ Italiens.

taz: Warum empfängt der Papst den naziverdächtigen österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim, den sonst keiner will? Baget Bozzo: Es gibt da eine sehr, sehr subtile Abschätzung seitens des Papstes, die aber ganz in sein sonstiges politisches Spiel hineinpaßt. Seien wir uns zunächst klar darüber, daß sich Waldheim wegen seiner Tätigkeit als UNO–Generalsekretär sowohl im Ostblock als auch in der arabischen Welt durchaus gewisser Sympathien erfreut. Das ist enorm wichtig für die Pläne des Papstes in diesen Gebieten. Wichtiger noch aber scheinen wohl zwei andere Gründe. Erstens sieht Johannes Paul II. die Chance, mit seinem Schritt in die innerösterreichische Politik einzugreifen und die Gewichte hin zum Konservativen zu verschieben. Deshalb muß er mit allen Mitteln verhindern, daß Waldheim zum Rücktritt gezwungen wird und dann möglicherweise wieder ein Sozialist hinkommt. Zweitens möchte er auch das Erbe des liberalen Kardinals König liquidieren. Damit könnte er Österreich zu einem mächtigen Bollwerk seiner Politik nach Osten machen. Die österreichischen Bischöfe haben gerade erklärt, sie seien überhaupt nicht vom geplanten Treffen informiert gewesen. Eben - es geht darum, auf diesen bisher liberalen Klerus einzuwirken, und zwar, da anders nicht möglich, mithilfe der weltlichen Politik. Ein dankbarer Waldheim kann ihm da überaus nützlich sein. In seiner Stellungnahme erweckt der Vatikan den Eindruck, nicht er habe Waldheim eingeladen, sondern der habe irgendeine alte Einladung hervorgekramt, die noch an seinen Vorgänger gerichtet war. Die Absprache über den Termin kann doch nur in beiderseitigem Einverständnis erfolgen. Nein, der Zeitpunkt ist ganz und gar nicht zufällig - der Papst will den Besuch genau jetzt; er möchte Waldheim „erlösen“ aus seiner Isolation und sich ihn und Österreich verpflichten. Ein Schritt von höchster politischer Bedeutung. Aber doch auch ein Schlag ins Gesicht der Juden, denen Johannes Paul II. erst voriges Jahr einen spektakulären Friedensbesuch abgestattet hat. Das war zweifellos ein Problem für ihn. Weniger wegen der italienischen Juden, sondern mehr wegen der amerikanischen, die ja dort ein starkes politisches Gewicht haben. Doch vor die Alternative gestellt, sein Lieblingsziel, den „Ostwall“ gegen den Kommunismus weiterzubauen oder einen Versöhnungsweg mit den Juden zu beschreiten, ist er der Versuchung erlegen, sich wieder einmal in die Politik einzumischen. Wird die Einladung Signalwirkung haben? Zu fürchten stehts. Dieser Papst hat schon wegen seiner Medienwirksamkeit einen enormen Einfluß, und zwar sowohl auf die medienabhängige politische Welt als auch auf das Volk. Wenn er den Präsidenten in Nazigeruch empfängt, werden sich die Leute in allen anderen Ländern bald fragen, warum er nicht auch in ihr Land hineindarf. Doch das ist ja wohl auch der Sinn der ganzen Affäre. Das Interview führte Werner Raith