Waldheim vor der Seligsprechung?

■ Trotz massiver Proteste hebt der Papst den internationalen Bann gegen Waldheim auf

Juden in aller Welt fühlen sich durch Einladung und Empfang des österreichischen Bundespräsidenten Waldheim im Vatikan verhöhnt, in Wien bricht der dumpfe Antisemitismus immer massiver auf. Doch der Stellvertreter Gottes mit Sitz in Rom läßt sich nicht beirren. Eine gezielte, durchaus weltlich–politisch motivierte Unterstützung des österreichischen Konservatismus durch die Rehabilitierung Waldheims ist ihm wichtiger als die Aussöhnung der beiden Weltreligionen.

Zwei Bischöfe im Vatikan: „Der Papst soll sich hervorragend auf den Waldheim–Besuch vorbereiten, heißt es.“ - „Ja, er hat gerade angefangen, Judenwitze auswendig zu lernen.“ Italiens Satiriker sind derzeit die einzigen, die sozusagen „offiziell“ zu Waldheims Visite Stellung beziehen - ansonsten üben sich Politiker wie auch die meisten Medien in vornehmer Zurückhaltung, die so gar nicht zur sonstigen kaum zähmbaren Redelust paßt. Waldheim wird zur „reinen“ Vatikan–Sache; mit maliziösem Grinsen verweigern die Beamten des italienischen Außenministeriums jeden Kommentar. Die Drehungen und Wendungen des amtierenden Ministerpräsidenten Fanfani vor dem Ansinnen eines Waldheim–Abstechers aus dem Vatikan hinaus hat einen anderen Karikaturisten inspiriert, den Regierungschef als Dienstmädchen verkleidet darzustellen, das den monokelbewehrten und nazigestiefelten Waldheim vor der Tür abweist: „Der Herr Dr. Craxi ist gerade abwesend und ich bin nur die Gouvernante...“ Tatsächlich aber ist die „Affäre Waldheim“ alles andere als eine bloß– vatikanische Angelegenheit - „dicke, dicke“, fürchtete Il manifesto, „hängen da womöglich auch unsere Offiziellen mit drin.“ Immer konkreter manifestieren sich Hinweise, daß unvermeidlich wieder einmal der Außenminister Giulio Andreotti an der Sache gedreht hat: Der nämlich hat nicht nur seit jeher die besten Beziehungen zum Papst, sondern braucht auch Österreichs Unterstützung zur „Beruhigung“ des neuerdings wieder bombengeplagten Südtirol. Doch auch die Namen zahlreicher Kardinäle und Bischöfe aus dem bundesdeutschen wie natürlich österreichischen Klerus schwirren als „Architekten“ des Besuchs herum. So bietet sich den Römern derzeit ein recht merkwürdiges Spiel von Scheinheiligkeit und pharisäerhafter Entrüstung dar. Zwar hat der Vorsitzende der israelischen Gemeinden, Tullia Zevi, den Papst heftig gescholten und vermutet ihn nun „auf derselben Stufe wie die Regenten von Uganda und Libyen“; auch der römische Oberrabbiner Toaff, den Johannes Paul II. 1986 beim Synagogenbesuch umarmt hatte, „kann gar nicht genug Trauer und Sprachlosigkeit vor dieser Geste des Vatikan“ ausdrücken. Dennoch, die Proteste gerade der jüdischen Organisationen in Italien bleiben recht verhalten; jedenfalls wenn man sie an den massiven und rückhaltlosen Protesten aus Israel oder den USA mißt. „Irgendwie“, vermutet der Religionswissenschaftler Giancarlo Zizola, „fühlen die ihre Hände gebunden, weil sie ihrerseits kein Wort über den Besuch des Papstes bei Pinochet und anderen aktuellen Diktatoren verloren haben.“ So haben die offiziellen jüdischen Stellen Italiens durchaus nicht ungern vernommen, daß der Nazi– Aufspürer Simon Wiesenthal dem Corriere della sera eine Erklärung übergeben hat, in der er zu mindest bei Angriffen auf Johannes Paul II. zur Vorsicht mahnt: „Kein Papst hat jemals derart positive und wichtige Dinge über die Juden gesagt wie Johannes Paul II., kein anderer Papst hat sich jemals so entschlossen und unzweideutig gegen den Nationalsozialismus ausgesprochen; wenn es Dissonanzen mit ihm gibt, darf das nicht zum Abbruch des Dialogs führen...“ Das Dilemma für die Wertung „vor Ort“ liegt vor allem in der verwirrenden internationalen Einschätzung - und natürlich in der Undurchsichtigkeit vatikaninterner Vorgänge an sich. So haben die Vereinigten Staaten ihrem Vatikanbotschafter Frank Shakespeare kategorisch jede Teilnahme an Waldheim–Veranstaltungen im Vatikan verboten - doch wegen ihrer Freundschaft zu aktuellen Massenmördern auf Diktatorenthronen gelten die USA nicht gerade als moralisch legitimierte Sauberkeitshüter. Aus der Sowjetunion Gorbatschows wiederum erfährt man, daß der dortige Ministerpräsident Ryschkow demnächst anläßlich eines Besuchs in Wien an einem Bankett mit dem Präsidenten teilnehmen wird. Langsam kristallisiert sich auch heraus, welche Machtkämpfe im Vatikaninnern dem Treffen vorausgegangen waren. Papst– Außenminister Kardinal Casaroli soll nur mit viel Mühe und sozusagen an der Amtskette vor einem ei lig anberaumten außervatikanischen Besuch oder „Krankheit“ abgehalten worden sein; die „Begründungen“, „Gegenvorstellungen“ des Vatikans zu den anti– Waldheim–Kampagnen beschränkten sich daher auch auf dürrste Mitteilungen des Gesamt– Vatikan–Sprechers Joaquim Navarra und enthielten keinerlei Kommentare des Außenamtes - ansonsten wurden sämtliche Kurienmitglieder zu absolutem Schweigen vergattert. Zur Besorgnis hatten die Glaubensoberen wohl Grund: US–Bischöfen und südamerikanischen Prälaten in Rom werden Demissionsabsichten nachgesagt. Nur die Glaubenskongregation des unfehlbaren Kardinals Ratzinger jubelt: Mit der „Anerkennungshilfe“ für Waldheim hofft man das zu 85 % katholische Österreich endlich wieder aus den Klauen des liberalen Klerus zu befreien, der sich den päpstlichen Restaurationsbemühungen bislang weitgehend widersetzt hat - das langerträumte „Bollwerk“ gegen den Osten nimmt auch territoriale Gestalt an. Vielleicht aber läßt sich gar auf ganz anderer Ebene die Waldheim–Wojtyla–Allianz zementieren - spottet jedenfalls die Democrazia Proletaria (die als einzige Partei Protestdemos vor dem Vatikan organisiert): Im Gegenzug zur Waldheim–Aufwertung könnten die Österreicher vielleicht den in Italien wegen Millionenbetrugs steckbrieflich gesuchten Papst–Bankier Erzbischof Marcinkus aufnehmen. „Mehr noch - vielleicht brauchen die bald mal einen neuen Präsidenten für ihre Nationalbank...?“ Werner Raith