Exodus beim Bischofs–Blatt?

■ 14 Redakteure verließen die Schweizer Zeitung Giornale del Popolo im Tessin, weil es durch den Rauswurf des Chefredakteurs auf katholische Linie gebracht werden sollte / Der Rechtsruck von oben stieß aber in der Öffentlichkeit nicht auf Gegenliebe / Gechaßter Chefredakteur will Konkurrenz–Blatt gründen

Aus Locarno Frank Matter

Als Filippo Lombardi unlängst sein Amt als neuer Chefredakteur der Tessiner Zeitung Giornale del Popolo antrat, fand er die Redaktionstuben fast leer vor. 14 Redakteure und acht freie Mitarbeiter hatten das Blatt Ende Mai aus Solidarität zu Lombardis gechaßtem Vorgänger Silvano Toppi verlassen. Dieser Exodus war jedoch nur der Höhepunkt einer Affäre, die die Öffentlichkeit in der Schweizer Sonnenstube schon seit Monaten beschäftigte. Vor fast drei Jahren hatte der damalige Bischof von Lugano, Ernesto Togni, den versierten Journalisten Silvano Toppi an die Spitze des bistumseigenen Giornale del Popolo gesetzt. Der neue Chefredakteur löste das Blatt aus seiner engen Bindung an die Christdemokratische Partei (CVP) und machte es zur kritischsten und modernsten Tageszeitung auf dem hart umkämpften Pressemarkt der italienischen Schweiz, auf dem täglich nicht weniger als sechs Zeitungen um die Gunst von nur 250.000 Lesern buhlen. Ein Dorn im Auge des Bischofs Bischof Togni verfolgte die Entwicklung des Giornale mit Wohlwollen, nicht jedoch sein Nachfolger Eugenio Corecco, der im letzten Sommer von Papst Johannes Paul II, zum obersten Hirten des Bistums Lugano gewählt wurde. Dem Mitglied der konservativ–katholischen Bewegung „Comunione e liberazione“ war die laizistische und angriffslustige Linie des Giornale del Popolo ein Dorn im Auge. Nur wenige Monate nach seiner Amtsübernahme legte der neue Bischof dem Chefredakteur Toppi nahe, seinen Posten zur Verfügung zu stellen. Als Nachfolger berief der geistliche Würdenträger seinen ehemaligen Assistenten Filippo Lombardi. Der erst 31jährige verfügt zwar über keine journalistische Erfahrung, dafür kommt er aus dem „richtigen Milieu“, wie es ein politischer Beobachter nennt: Lombardi war bisher Sekretär der Jungen Christdemokraten Europas. Wie das Blatt von nun an aussehen soll, machte der neue Giornale–Chef seinen Lesern schon in der ersten Woche klar. Im Antritts–Editorial schrieb Lombardi: „Unsere Anstrengungen gliedern sich in die Bemühungen der universellen Kirche ein“. In der zweiten Nummer wurde dann bereits seitenfüllend über einen Besuch von Bischof Corecco bei den Eltern eines ermordeten Jugendlichen berichtet. Protest gegen den Stabwechsel beim Giornale del Popolo kam nicht nur aus der Redaktion. Auch die Leser reagierten mit Hunderten von Abonnementsabbestellungen. Der Zürcher Tagesanzeiger kommentierte: „Eine profilierte Stimme in der weitgehend grauen Tessiner Zeitungslandschaft verschwindet“, und Silvano Toppi selbst klagte: „Wer sich im Tessin nicht anpaßt, wird abgeschossen“. Für den prominenten Basler Kolumnisten Oskar Reck sind die Geschehnisse um das Giornale del Popolo kein Einzelfall, sondern eine „deutlich erkennbare Zeitströmung“. Reck macht in der ganzen Schweiz erstarkende Gruppen von „rückwärtsgewendeten Traditionalisten“ und „politisch und religiös Heimatvertriebenen“ aus. Diese Gruppierungen, so der liberale Kommentator, wehren sich mit allen Mitteln gegen Neuerungen und Öffnungen in der Gesellschaft und streben eine konservative Wende an. Rechtsruck als Bumerang Im Tessin war schon im Vorfeld der Kantonalwahlen in diesem Frühling zu beobachten, daß Katholisch–Konservative und Rechtsfreisinnige wieder eine härtere Linie verfolgen. In den Wahlkampf zogen sie mit einer recht aggressiven Kampagne gegen Liberale in den eigenen bürgerlichen Reihen und gegen prononcierte Linke. Und die seit 60 Jahren in der Tessiner Regierung sitzenden gemäßigten Sozialdemokraten polemisierten gegen linke Sozialdemokraten und Sozialisten. Die Wahlen selbst endeten mit einem Eigentor der Rechten: Die Kampagne gegen Liberale in den eigenen Reihen und die Einmischung in den Zwist der Linken zugunsten der „staatstragenden“ Sozialdemokraten erwies sich als ungeschickt. In die per Verhältniswahlrecht gewählte Kantonsregierung zogen schließlich sowohl der Sozialdemokrat Rossano Bervini als auch der Linkssozialist Pietro Martinelli ein. Über die Klinge springen mußte dafür der progressive Christdemokrat Fulvio Caccia. Damit verfügen die bürgerlichen Parteien erstmals nur noch über drei der fünf Sitz in der Tessiner Exekutive. Zu einem Eigentor ähnlichen Ausmaßes könnte auch der Stabwechsel beim Giornale del Popolo werden. Denn Silvano Toppi hat bereits angekündigt, daß er möglicherweise eine neue, progressive Tageszeitung gründen will. Eine neue Konkurrenz würde dem jetzt schon durch Personalmangel und sinkende Abonnentenzahlen arg gebeutelten Giornale del Popolo schwer zu schaffen machen.