piwik no script img

Alternativradio in dem Loch zwischen „A“ und „Z“

■ Bis jetzt bietet der erste links–alternative Sender der Republik, das Berliner „Radio 100“ eher Enttäuschendes / Die öffentliche Präsentation des Senders als „Radio Glasnost“ im Berliner Tempodrom fand hinter dicken Milchglasscheiben statt / Themenspektrum dürftig

Aus Berlin Brigitte Fehrle

Seit März diesen Jahres haben Berliner RadiohörerInnen einen neuen Sender zur Auswahl. Radio 100 bekam als erstes links–alternatives Radio nach langem Hick– Hack vom Kabelrat vier Stunden Sendezeit auf einer neuen privaten Frequenz. Am Mittwoch abend präsentierte sich der Sender erstmals öffentlich und live aus dem kleinen Zelt im Tempodrom. Doch was als „Radio Glasnost“, das transparente Radio, angekündigt war, zeigte sich größtenteils hinter einer dicken Milchglasscheibe. Weder die Schwierigkeiten des täglichen Programmachens noch die zahllosen Debatten hinter den Kulissen drangen an Ohren und Augen der Interessierten ZuschauerInnen. Dabei hätte es viel zu berichten gegeben. Beispielsweise vom kürzlich abgeschafften Rotationsprinzip in den Redaktionen. Die Frauen, die mit der Sendung „Dissonanzen“ täglich das Programm eröffnen, waren die ersten, die vier feste Redakteurinnen eingestellt haben. Zum Hungerlohn, der viel Idealismus und Wille zur Karriere braucht, um satt zu machen. Der Wunsch nach mehr Kontinuität und die Verantwortlichkeit den Hörerinnen gegenüber ließ die „Dissonanzen“ von ihrem noch im März heiß verteidigten Prinzip abrücken. Im kalten Zelt am Mittwoch abend glossierten sie jedoch nur sich selbst, schlecht. Nichts über den feministischen Streit. Nicht anders „Checkpoint“, das politische Magazin. Es präsentiert sich traditionell. Moderation. Beitrag. Musik. Studiogespräch. Musik. Nachgemacht, abgekupfert von den „Großen“. Die Inhalte reichen von Asylpolitik bis Zwangseinweisung, was leider nur im Alphabet Breite ausdrückt. Den treffenden Vorwurf „Szene funk“ zu sein, wollen die RedakteurInnen gerne abschütteln. Aber Radio für alle, kann man das machen ohne inhaltlich flach zu werden? Auch eine interessante Frage, die nicht gestellt wurde. Dabei gibt es intern jede Menge Kritik. Das Programm sei schlecht, zu wenig professionell und habe kein Profil. So heftig der Streit geführt wird, so vage sind doch die Kriterien. Professionalität zu messen an den glatten Programmen der öffentlich–rechtlichen Sender muß einen Mangel zutage bringen. Was aber tatsächlich fehlt und das trifft die „Dissonanzen“, „Checkpoint“ und auch das Kulturmagazin „Großstadtfieber“ in gleichem Maße ist das Lebendige, Menschen, die was zu erzählen haben, keine Journalisten, die fertige Beiträge ablesen. So gemessen ist das Programm in der Tat unprofessionell, langweilig und ohne Profil. Chanchen werden vertan. Als Beispiel mag hier nur die so dringend nötigen Berichte über das nicht–offizielle Leben in Ost– Berlin dienen. Aber fast glaubte man sich in der „Stimme der DDR“, als im Radio 100 über die Krawalle von Jugendlichen jenseits der Mauer anläßlich der Popkonzerte in West–Berlin berichtet wurde. Die Dissidentenszene im Osten, die Radio 100 mit Spannung erwartet hatte, zeigt jetzt bereits resigniert die kalte Schulter und hört wieder RIAS. Wieviele HörerInnen der Sender inzwischen in West–Berlin hat, läßt sich kaum sagen. Eigene optimistische Schätzungen von Geschäftsführer Thomas Thimme liegen bei 50.000. Sichere 500 lassen sich aber in jedem Fall an den sogenannten Hörerabos, einer der Finanzierungsquellen des Radios, ablesen. Noch lebt der Sender von den Einlagen der Gesellschafter der GmbH. Ein Jahr noch reicht das Geld, dann müssen Werbespots die Kosten decken. 14 Minuten wollten die RadiomacherInnen von ihren vier Stunden Sendezeit für Werbung abzwacken. Doch bis jetzt ist der Andrang der Kunden spärlich. Schuld daran sind auch politische Angriffe der äußersten Rechten der Berliner CDU. Bereits zwei Monate, nachdem der Sender zum ersten Mal in den Äther ging, stellte der CDU– Abgeordnete Wienhold beim Kabelrat den Antrag, Radio 100 die Lizenz zu entziehen. Der Sender habe sich, so der CDU–Vorwurf, während der Krawalle in Kreuzberg am 1/2. Mai als „Kommandozentrale“ betätigt. Die Ausstrahlung des Mitschnitts des Polizeifunks einer anderen Berliner Krawallnacht Mitte Mai rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Werbespots großer Firmen, die zu dem Zeitpunkt bereits geschaltet waren, wurden plötzlich ohne Angaben von Gründen zurückgezogen. Recherchen ergaben, daß die in München sitzende Werbeagentur gezielt über die politische Richtung von Radio 100 „informiert“ worden war. Spät am Abend gabs noch ein Konzert für Audio–Kleider und Ghettoblaster im kleinen Zelt; das wenigstens war nicht nur nachgeahmt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen