Nicaragua ein Jahr ohne La Prensa

■ Vor einem Jahr wurde die Oppsositionszeitung geschlossen / Anlaß war ein Bericht über die Contra–Finanzierung durch die USA / Übrig blieben El Nuevo Diario und das Parteiorgan der Sandinisten Barricada / Gegen harte Dollars sind auch US–Zeitschriften zugänglich

Aus Managua Ralf Leonhard

Dona Violeta Chamorro hat in ihrem Büro neben der Büste ihres von Somoza ermordeten Ehemannes ein Täfelchen hängen: „360 Tage unbefristeter Schließung“. Wie Häftlinge oder Wehrdiener, die die Tage bis zu ihrer Entlassung an die Wand einritzen, zählt sie die Tage, seit La Prensa, das Organ der bürgerlichen Opposition Nicaraguas, nicht mehr erscheinen darf. Gestern, am 26. Juni, waren es 365 Tage. Die letzte Nummer, die mit der Schlagzeile „100 Millionen genehmigt“ Reagans Abstimmungserfolg im Kongreß in Sachen Contra–Finanzierung verkünden sollte, kam nicht mehr unters Volk. Internationale Proteste und gutes Zureden von Vermittlern fruchteten nichts. La Prensa soll erst dann wieder erscheinen dürfen, wenn „die Aggression aufhört“, also die USA ihre Versuche einstellen, die Sandinisten auszuschalten. Nicaraguas Presselandschaft ist mit dem Verschwinden des 1926 gegründeten, traditionsreichen Blattes zwar ärmer geworden, ob dem Leser aber viel vorenthalten bleibt, ist zweifelhaft, zumal die Zensoren des Innenministeriums dem Leibblatt der Opposition sowieso die Zähne gezogen hatten. Über die Sinnhaftigkeit der Schließung von La Prensa und überhaupt die Rechtfertigung von Pressezensur kann man geteilter Meinung sein. Daß jedoch das Blatt der Familie Chamorro in allzu bedenklicher Nähe zur Konterrevolution stand, um das Attribut „unabhängig“ für sich beanspruchen zu können, ist offensichtlich, spätestens seit Pedro Joaquin Chamorro Jr. ins freiwillige Exil nach Costa Rica ging. Vom Chefredakteurssessel bei La Prensa in Managua wechselte er übergangslos in die Redaktion der konservativen Zeitung La Nacion, wo er allwöchentlich eine von der Contra finanzierte Beilage namens Nicaragua Hoy herausgibt, die sich als Organ der Konterrevolution versteht. Und das noch lange, bevor La Prensa zum Schweigen verurteilt wurde. Mittlerweile ist er Führungsmitglied der Resistencia Nacional, des neuen politischen Aushängeschilds der Contra, das jüngst in Miami gegründet wurde. Während sich in La Prensa rund 50 Angestellte der ursprünglich 280 Mitarbeiter mit dem Kopieren des Archivs, der Reinigung des Gebäudes und dem Aufwärmen der Rotationspresse beschäf tigen, haben die anderen beiden Zeitungen sich den neuen Zeiten angepaßt. An Tageszeitungen gibt es jetzt nur das sandinistische Parteiorgan Barricada und das unabhängig–regierungsfreundliche El Nuevo Diario. Die Kleininserate, die La Prensa zwar nicht viel an direkten Einnahmen, wohl aber an verkaufter Auflage einbrachten, sind größtenteils zu El Nuevo Diario abgewandert. Und selbst die nüchterne Barricada bringt jetzt bezahlte Werbung nicht nur von staatlichen Institutionen, sondern auch von kommerziellen Unternehmen. Hatte La Prensa die Comics–Freunde mit täglichen Episoden von Popeye und Hägar dem Schrecklichen erfreut, so bringt Barricada seit einigen Monaten die beliebte argentinische Cartoon–Serie Mafalda. Das revolutionäre Parteiorgan hat sogar eine ganze Seite mit dem Titel „Von allem ein bißchen“ reserviert, um des Lesers Bedürfnis nach Trivialem und Kuriosem zu befriedigen. El Nuevo Diario versucht seinem Anspruch als unabhängige Zeitung gerecht zu werden, indem sie kritische Reportagen bringt. Doch um wirklich heiße Themen macht sie einen Bogen. Doch trotz der Schließung von La Prensa hat das vergangene Jahr einen größeren Informationsfluß gebracht, zumindest für den, der Dollars hat. Denn seit einigen Monaten können die US–amerikanischen Nachrichtenmagazine Time und Newsweek mit wenigen Tagen Verspätung in den großen Hotels und im Diplomatenshop bezogen werden. Die New York Times kommt 24 Stunden zu spät, die in Panama gedruckte Lateinamerika–Ausgabe des Miami Herald wird dem Abonnenten gar druckfrisch ins Haus geliefert. Doch inzwischen haben auch die verbleibenden Zeitungen ihren Auslandsteil attraktiver gestaltet. Selbst Afghanistan und Polen, früher ausschließlich für die konservative Presse existent, tauchen jetzt gelegentlich auch auf dem politischen Atlas von Barricada auf.