Tamilen im Nordwesten Sri Lankas atmen auf

■ Teil II der taz–Serie nach dem Ende der Großoffensive der Armee / Die Regierung hat das Fischereiverbot gelockert / Bürgerkomitees versuchen, zwischen Militär und Bevölkerung zu vermitteln / Indien–Flüchtlinge kehren zurück / Doch Festnahmen und Verhöre von Jugendlichen gehen weiter

Aus Mannar Walter Keller

Langsam rollt der Zug von Anuradhapura mit seinen vier überfüllten Waggons der dritten Klasse in den winzigen Bahnhof von Mannar im Nordwesten Sri Lankas ein. Die Fahrt war weder bequem noch schnell: Für die hundert Kilometer benötigt der Zug vier Stunden. Trotzdem schätzt die Bevölkerung dieses Transportmittel, das erst seit kurzem wieder verkehrt. Es ist allemal besser als der beschwerliche Weg über die von Minen total zerstörte Landstraße. Denn die „Liberation Tigers of Tamil Elam“ (LTTE) hatten während der letzten Jahre versucht, den Nachschub der Streitkräfte mit Teller– und Druckminen zu unterbinden. Daß der Zug wieder verkehrt, ist ein Zeichen für die entspanntere Lage im Distrikt. Die relative Ruhe herrscht seit einigen Monaten, doch keiner weiß, wie lange dieser Zustand andauern wird. Noch im Februar hatten sich die Streitkräfte heftige Gefechte mit der LTTE geliefert und in einer Großoffensive deren letzte wichtige „Festung“ Adampan eingenommen. Zerbombte und ausgebrannte Häuser zeugen noch von der Schlacht, bei der auch viele Unbewaffnete getötet wurden. Zahlreiche Reisfelder liegen noch brach, und die Armee hat das Krankenhaus zu einem Stützpunkt umfunktioniert. Keine lokale Verwaltung „Nach diesen Vorfällen hat sich die Lage hier gebessert“, berichtet Bruder Hilary Joseph. Als Mitglied des Ordens de la Salle hat er viele Jahre am St. Xaviers College unterrichtet. Zusammen mit anderen Persönlichkeiten der Stadt hat er im Jahre 1984 ein Bürgerkomitee ins Leben gerufen. Pate standen die zahlreichen anderen Komitees, die bereits zuvor besonders auf der Jaffna–Halbinsel gegründet worden waren. Sie nehmen eine Vermittlerrolle zwischen Bürgern und Militär ein, da die Tamilen seit 1983 in der Hauptstadt Colombo nicht mehr politisch repräsentiert werden. Nach den Unruhen in jenem Jahr mußten die Abgeordneten der bürgerlichen Tamilenpartei, der „Tamil United Liberation Front“ wegen einer von der Regierung initiierten Verfassungsänderung das Parlament verlassen. Die meisten Abgeordneten gingen nach Indien ins Exil. Mit dieser Entwicklung war auch der Zusammenbruch des gesamten nachgeordneten politischen und administrativen Systems im Distrikt verbunden. Der „Distrikt–Entwicklungsrat“ und die vielen Dorfräte existieren nicht mehr. Die Streitkräfte übernahmen weitgehend die Aufgaben der Polizei. Da kaum ein Bürger bereit war, sich mit einer Beschwerde an das Militär zu wenden, war die Bevölkerung weitgehend auf sich allein gestellt. In dieser Situation kam es zur Gründung des Bürgerkomitees, dessen ehrenamtliche Mitglieder allerdings nur in einem sehr begrenzten Rahmen in der Lage waren, sich der Sorgen und Nöte der Bevölkerung anzunehmen und die fehlende Verwaltung zu ersetzen. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört es, die Freilassung von Verhafteten zu erwirken oder zumindest deren Haftorte in Erfahrung zu bringen. Die Auseinandersetzungen in Mannar begannen Ende 1984, viel später als in den anderen Tamilengebieten, nachdem ein Armeefahrzeug von der Guerilla in die Luft gejagt worden war. Soldaten zogen plündernd und brandschatzend in die Stadt ein und zerstörten weite Teile des Basars. Vergeltungsaktionen verlagerten sich danach auch auf andere Gebiete des Distrikts. Nachdem es im Dezember 1984 erneut zu einem Sprengstoffanschlag der Tamilen–Rebellen auf ein Armeefahrzeug in der Nähe des auf dem Festland liegenden Dorfes Murunkan kam, töteten Soldaten über hundert Menschen, die nicht an den Auseinandersetzungen beteiligt waren. Sie legten Häuser, Geschäfte, und Fahrzeuge entlang einer Strecke von 13 Kilometern in Schutt und Asche. „Solche Exzesse, unter denen die Bevölkerung seit 1984 zu leiden hatte, scheinen derzeit nicht mehr vorzukommen“, meint Hilary Joseph. Die Armee verhalte sich jetzt disziplinierter als früher. „Nur so kann sie das verlorene Vertrauen in die Bevölkerung wiedergewinnen“, fügt er hinzu. Schon das Lächeln eines Soldaten oder die zügige Abfertigung von Busreisenden am Armeekontrollpunkt kann für viele Bürger Zeichen einer Verbesserung sein. Bisher hatten sie von den Streitkräften immer nur das Schlimmste erwartet. Viele führen die Entspannung auf den neuen Koordinationsoffizier, Lal Weerasooriya, zurück, der im Hauptquartier der Streitkräfte, dem Tallady Camp, residiert. Der kleine, umgängliche Mittfünfziger bestätigt, daß es in der Vergangenheit zu Exzessen der Streitkräfte gekommen sei. „Aber jetzt versuchen wir, mehr mit der Zivilbevölkerung zu kooperieren, um ihnen die Angst zu nehmen.“ Für ihn sind die „Tigers“ erst einmal besiegt, auch wenn die Schlacht noch nicht gänzlich gewonnen sei. Als Beweis für die verbesserte Lage erwähnt er die während des letzten Jahres aus Indien zurückgekehrten Flüchtlinge: „Über 6.000 sind seit Mai 1986 gekommen“. Von der Marine in Talaimannar, wo bis 1983 zweimal wöchentlich ein Schiff mit westlichen Touristen aus Indien anlegte, erhalte ich eine detaillierte Liste, die im genannten Zeitraum 5.796 Rückkehrer aufweist. Der Pfarrer von Pesalai glaubt sogar, daß nocheinmal so viele inoffiziell irgendwo an der Küste gelandet sind. „Viele der 125.000 Flüchtlinge, die während der letzten zwei Jahre nach Indien gingen, kamen aus unserem Distrikt“, sagt er. Pesalai sei menschenleer gewesen. „Jetzt sind nahezu alle wieder zurück.“ Die Schule hatte vor einem Jahr noch gerade zehn Schüler, derzeit sind es 600. Auch der Direktor hielt sich mit seiner Familie über ein Jahr in dem nur 25 Kilometer entfernten Nachbarland auf. „Wir konnten dort nicht länger leben, das war nichts für uns, ständig in einem überfüllten Lager vor uns hin zu vegetieren.“ Seit der Offensive der Streitkräfte auf der Jaffna–Halbinsel ist die Rückkehrwelle jedoch verebbt. Statt dessen herrscht unter den Tamilen aus Jaffna nun wieder eine große Nachfrage nach Überfahrten nach Indien. Fischereiverbot gelockert Zur Entspannung in Mannar hat auch die Lockerung des vor zwei Jahren in Kraft getretenen Fischereiverbots beigetragen. Zehntausende von Fischern können nun wieder ihrer Arbeit nachgehen. „Die Leute hatten nichts mehr zu essen, und das schafft Unruhe. Ein guter Nährboden für Terroristen“, begründet Damitha Witharana, der befehlshabende Offizier des Marinelagers Talaimannar die Lockerung. Allerdings dürfen die Fischer nur fünf Kilometer weit ausfahren. Hochseefischfang ist deshalb immer noch nicht möglich. Grund zur Klage geben auch die nach wie vor willkürlichen Verhaftungen von Jugendlichen durch die Armee. Sie werden meist ins Tallady–Camp gebracht und verhört, um, wie Brigadier Weerasooriya sagt, „ihre Verbindungen zu Terroristen zu prüfen“. Andere kommen in das berüchtigte Gefängnis von Boosa im Süden Sri Lankas, wo nach Informationen der in Jaffna erscheinenden Saturday Review Anfang Juni zwölf Insassen von Soldaten ermordet worden sein sollen. Wenn die Verhaftungen in Mannar auch zurückgehen, moniert das Bürgerkomitee immer wieder die Festnahmen. Sein Vorsitzender Puthumainayagam gibt an, daß er wegen seiner Kontakte zum Militär häufig in der Lage sei, die Gefangenen wieder freizubekommen. „Oft wird aber auch versichert, die Leute seien freigelassen worden, obwohl sie nicht nach Hause zurückgekehrt sind.“ Vor seinem Haus, das in einem der besseren Wohnviertel der sonst sehr ärmlich wirkenden Stadt Mannar liegt, sind es nur wenige hundert Meter bis zum Zentrum. Im Basarviertel sind noch die Spuren der hier geschlagenen Schlachten zu sehen. Unmittelbar am Ausgang der Stadt, wo ein etwa zwei Kilometer langer Damm die Insel mit dem Festland verbindet, haben einst die Polizeistation und andere Regierungsgebäude gestanden, bis sie von der LTTE in die Luft gejagt wurden. „In der Nacht, als die Station gesprengt wurde, zogen LTTE–Kämpfer durch die Stadt und verkündeten, dies sei endgültig der Sieg“, rekapituliert ein Tamile, der mich beim Rundgang anspricht. Daß dem nicht so war, zeigt die heutige Situation.