Bonn pokert mit Bauernopfer

■ Für die Zukunft des Gemeinsamen Marktes muß die Bundesrepublik auf Agrarsubventionen verzichten / Eine Neuordnung des EG–Finanzierungssystems soll erst ab 1989 in Kraft treten

Seit Jahren haben sich die Schlagzeilen bei EG–Gipfelkonferenzen kaum verändert. EG in Finanzkrise, Agrarsubventionen als Faß ohne Boden - dies sind auch heute wieder die beherrschenden Themen. Trotzdem zeichnet sich diesmal ab, daß eine Einschränkung der Agrarsubventionen auf Dauer auch von Bonn aus nicht mehr verhindert werden kann. Doch Kohl spielt auf Zeit. Wenigstens die Wahlen in Schleswig–Holstein müssen noch über die Bühne gebracht werden.

„Europäische Gemeinschaft - größter Ex– und Importeur der Welt“ klotzt es von neonbeleuchteten Wandtafeln in der Metrostation „Place Schumann“ in Brüssel, an dem die Silos der EG–Kommission und des Rates liegen, Schauplatz des 36. Gipfeltreffens der EG–Regierungschefs am Montag und Dienstag. Das Gastgeberland Belgien hält 85 Prozent der Weltproduktion an Billardkugeln. So überreichte Belgiens Premierminister Wilfried Martens seinen angereisten Amtskollegen als Gastgeschenk einen kunstvollen Billardstock in einem speziell angefertigten ledernen Luxusetui. Präzision und Fair Play, so erläuterte Martens das symbolträchtige Geschenk, seien bei dem Kugelspiel auf dem grünen Tuch gefragt. Doch beim anschließenden Interessen–Carambolage ließ die Zwölfer–Combo die sichere Hand ebenso vermissen wie Augenmaß und Fairness gegenüber den südlichen Partnerländern. Daß auch angesichts des drohenden finanziellen Bankrotts der Gemeinschaft eine Einigung über eine Neustrukturierung des Beitragssystems, geschweige denn über eine Reform der Agrarpolitik nicht zu erwarten sei, dämmerte den meisten schon nach dem ersten Statement von Margret Thatcher. Über Beitragserhöhungen zur Behebung des Defizits sei mit ihr nicht zu reden, solange die Agrarausgaben nicht deutlich eingedämmt würden. Angesichts der verschwendeten Milliarden für Produktion, Lagerung oder gar Vernichtung von „Erzeugnissen, die niemand kaufen will“, seien keinem der zum Sparen gezwungenen nationalen Haushalte größere Abgaben in die Brüsseler „Badewanne ohne Stopfen“ zuzumuten. Da konnte Bundeskanzler Kohl wieder mal gefahrenlos den kulanten Europäer spielen: Das von der EG–Kommission vorgelegte - und von Bonn bisher abgelehnte - Modell zur Neustrukturierung des EG–Finanzierungssystems, das zwecks größerer Gerechtigkeit auf das Bruttosozialprodukt der Länder bezogen sein soll, bezeichnete Kohl als „vernünftige Ausgangsposition“ für weitere Verhandlungen. In etwa einem Jahr könne das neue System entscheidungsfähig sein und auf dem übernächsten Gipfel abgesegnet werden. Der findet - welcher Zufall - in Hannover statt. BRD größter Nutznießer Auch bei der Aufstockung der sogenannten Strukturfonds, die die wirtschaftlich schwächeren Südländern fördern sollen, gab sich der große Schwarze aus Bonn spendabel: „Das hat kein Mensch von uns erwartet.“ Zwar findet er eine Verdoppelung dieser Fonds - wie sie von der Kommission vorgeschlagen und von den Süd ländern selbst als „minimal“ bezeichnet wurde - etwas zu dick, die Bundesregierung halte aber eine „substantielle“ Aufstockung für unabdingbar. Das vorwurfsvoll arrogante Wort seines Amtsvorgängers vom deutschen „Zahlmeister“ Europas, das zu Hause oft die Runde mache, wies Kohl zurück. Daß die Deutschen am meisten in die EG–Kasse einbezahlten, sei nur logisch, da sie umgekehrt „die größten Nutznießer“ der Gemeinschaft seien. So gingen 53 Prozent aller Dienstleistungen und Exporte der BRD in die EG. Kohl hat die Spielregeln begriffen: Wenn man den Südländern Maschinen verkaufen wolle, „müssen die das Geld vorher verdienen können“. Eine „ganz einfache Überlegung“. Kein Wunder, daß Kohl sich erneut für die Vollendung des grenzenfreien Binnenmarktes aussprach, und zwar termingerecht bis 1992. Auch die mehrstündige Debatte über die von der Kommission angestrebte Fettsteuer, eine spezielle Steuer auf pflanzliche Fette, die die Einnahmen erhöhen und den Butterberg etwas abschmelzen soll, gipfelte in Vertagung. Diese Sondersteuer würde der EG unvermeidlich handelspolitischen Ärger mit den USA und einigen Dritte–Welt–Ländern bescheren. Die Kommission dürfte einen weiteren Überprüfungsauftrag bekommen haben. Überhaupt sei die Diskussion recht „unstrukturiert“ verlaufen, vertraute Kohl den deutschen Journalisten beim sogenannten „Kamingespräch“ an, jenem traditionellen Ritual, bei dem der Kanzler den heimischen Pressetroß in seiner jeweiligen Absteige - selten vor Mitternacht - plaudernd über das Geschehen auf den Gipfelhöhen in sein Bild der Dinge zu setzen pflegt. Mitten in des Kanzlers Redefluß steckte Landwirtschaftsminister Kiechle kurz seine Nase in den Salon, zog sie zunächst rasch wieder zurück, nahm auf Zuruf dann aber doch auf dem „Kurfürstensessel“ (Kohl) neben seinem Boß Platz. Sonderkonditionen für deutsche Bauern Die Regierungschefs hatten ihre Agrarminister auf die Schnelle zu einem Agrarministerrat gleich im Anschluß an das Gipfelende für Dienstag abend nach Brüssel kommandiert. Die horrenden Agrarausgaben, die mehr als zwei Drittel des gesamten EG– Etats verschlingen, sind die Hauptursache für den drohenden Finanzkollaps. „Natürlich sind auch wir für den Abbau der Agrarausgaben“, beteuerte Kohl. Doch wie eine von Bonn als Grundbedingung eingeklagte „günstige Lösung“ für die deutschen Landwirte aussehen könne, welchen Kompromissen Bonn überhaupt zugänglich wäre, darüber schwieg er sich ebenso beharrlich aus wie sein Allgäuer Agrarunterhändler. Auch die Auskunft, ob Kiechle im Agrarrat notfalls Preissenkungen mit einem deutschen Veto zu verhindern gedenke, blieben die beiden den bohrenden Journalisten schuldig. Der heimischen Landwirtschaft zuliebe bestand die Bundesregierung bisher stur auf Währungsausgleich und Garantiepreise für die eigenen Bauern. Mit ihrer Kulanz in Sachen Finanzmodell und Strukturfonds scheint sie sich Sonderkonditionen für die deutschen Agrarproduzenten erkaufen zu wollen. Die Einigung dürfe nicht auf dem Rücken der deutschen Bauern stattfinden, konstatierten die Bonner - als ob der EG–Beitritt den Bauern in Portugal und Spanien nur süße Früchte beschert hätte. So scheint eine Verschärfung des Süd–Nord– Konfliktes als Folge des - von den Nordstaaten produzierten - Agrarschlamassels unvermeidlich. Am Dienstag mittag fetzte sich die britische Premierministerin bereits heftig mit den Regierungschefs von Portugal und Spanien. Daß die Chef–Runde „klare Instruktionen“, wie Frankreichs Premier Chirac gefordert hatte, für den Agrarrat zustandebringen würde, schien am Dienstag äußerst fraglich. Thomas Scheuer