I N T E R V I E W „Jetzt gibt es kein Zurück“

■ Gespräch mit Raheem, dem Sprecher der „Tamil Tigers“ in Jaffna / Eine bewaffnete Intervention Indiens auf Sri Lanka zur Unterstützung der Aufständischen lehnt die LTTE ab und fordert stattdessen die Anerkennung sowie Waffenlieferungen durch die Regierung in Delhi

Die srilankanischen Streitkräfte haben während der letzten Wochen durch eine Großoffensive das Gebiet von Vadamarachchi entlang der Nordost– und Ostküste der Jaffna– Halbinsel zurückerobert. Vadamrachchi wurde während der vergangenen zwei Jahre von Rebellen der „Liberations Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) kontrolliert, die sich für die Schaffung eines unabhängigen Tamilenstaates auf Sri Lanka einsetzen. Bei der „Operation Liberation“ sollen Angaben von Beobachtern in Sri Lanka zufolge zwischen 300 und 750 Menschen, überwiegend tamilische Zivilisten, getötet worden sein. Walter Keller sprach in Jaffna als erster Journalist nach der Offensive mit Raheem, dem Sprecher der LTTE, dessen bürgerlicher Name Kanagaratnam lautet. taz: Die „Operation Liberation“ ist vorbei. Wie wird es weitergehen? Raheen: Wir erwarten von den Sicherheitskräften Sri Lankas, daß sie versuchen werden, auch die anderen Gebiete der Halbinsel Jaffna, besonders die Stadt Jaffna, einzunehmen. Die relative Ruhe im Moment wird wohl nur solange Bestand haben, wie die Vertreter des indischen Roten Kreuzes hier sind, um die Verteilung von Nahrungsmitteln zu überwachen, die aus Indien auf die Halbinsel gekommen sind. Die Armee hat anscheinend im Moment aber nicht genügend Leute, um eine neue Offensive zu beginnen. Bei der „Operation Liberation“ hat sie etwa 120 Mann verloren, 200 wurden verletzt (Anm. d. Red.: Die Militärführung in Jaffna spricht von 40 Toten). Wird die Rückeroberung von Vadamarachchi durch die Armee von der LTTE als Niederlage betrachtet? Wir glauben nicht, daß es eine Niederlage war. Natürlich hat die Armee Landgewinne verzeichnen können. Sie kontrolliert die Hauptverbindungsstraßen. Aber das heißt noch nicht, daß sie auch das gesamte Gebiet kontrollieren kann. Wir haben unsere Aktionen schon wieder aufgenommen. Zwei Straßenminen sind explo diert, und eins der neu errichteten Armeelager ist schon unter Beschuß gekommen. Hat der relative Erfolg der Streitkräfte die Bevölkerung nicht von der LTTE entfremdet? Bisher sahen sie doch in der LTTE ihre Beschützer. Nein, das glauben wir nicht. Die Bevölkerung hat Angst vor den Soldaten, die bei der Offensive brutal vorgegangen sind. Viele Unschuldige wurden zum Beispiel in den Luftschutzbunkern, die sie gebaut haben, umgebracht, als die Armee vordrang. Viele haben auch ihre Dörfer verlassen, weil sie Angst vor Verhaftungen hatten. Viele Leute in Jaffna scheinen nach der Nahrungsmittelhilfe den einzigen Retter in Indien zu sehen und eine militärische Intervention zu wünschen. Stimmt das? Das glauben wir nicht. Als die indischen Offiziellen mit der Verteilung der Nahrungsmittel, die mit dem Schiff aus Madras kamen, begannen, hat die Bevölkerung ihnen ein Memorandum überreicht, darin wird die offizielle Anerkennung der LTTE durch Indien gefordert. Indien würde der tamilischen Bevölkerung einen Dienst erweisen, wenn es die LTTE anerkennen und sie mit Waffen beliefern würde. Aber eine militärische Intervention durch Indien lehnen wir ab. Was wird die LTTE tun, wenn die Streitkräfte Jaffna Stadt angreifen? Wir werden kämpfen, was sonst. Sehen Sie noch Verhandlungsmöglichkeiten, um den Konflikt beizulegen? Gibt es für die LTTE Alternativen zu einem unabhängigen Tamilenstaat? Nein, wir wollen Eelam (den unabhängigen Staat) oder gar nichts. Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo es kein zurück mehr gibt.