Der entlastete Vorstand

■ Hauptversammlung und Werksbesetzung bei VW

Am Geld mangelt es nun wahrhaftig nicht. Der Volkswagen–Konzern kann es sich leisten, von Devisenspekulanten um fast eine halbe Milliarde Mark erleichtert zu werden. Er nimmt 1,5 Millarden Verlust durch die verunglückte Übernahme der Büromaschinenfirma Triumph–Adler ungerührt hin. Er läßt im brasilianischen Norden den tropischen Regenwald plattwalzen, um dort auf einem Gebiet von der Größe des Saarlands eine - wie sich später herausstellte - unrentable Rinderfarm anzulegen. Seit Jahren schwelgt VW in sprunghaft steigenden Umsatzzahlen. Der Weltkonzern kann Milliardenbeträge, ohne gravierende Folgen für die Verantwortlichen, sinnlos verschleudern. Aber er ist anscheinend nicht in der Lage, den Arbeitern in den außereuropäischen Zweigwerken einen menschenwürdigen Lohn zu zahlen. Die Überschüsse aus dem Jahre 1986 betragen ein Vielfaches der Jahreslohnsumme der 12.000 mexikanischen Arbeiter, die jetzt das Werk in Mexiko besetzt haben. Während in Wolfsburg der Vorstand entlastet wird, werden in Brasilien mehr als 2.000 Arbeiter auf die Straße gesetzt. Während 6.000 Kleinaktionäre der entgangenen Ausschüttung nachjammern, müssen die mexikanischen Arbeiter ihre Fabrik besetzen, um ihre Hungerlöhne gegen den galoppierenden Geldwertverfall zu schützen. Es wird Zeit, das Verhalten von VW und anderen bundesdeutschen Großkonzernen in der dritten Welt zum Gegenstand hiesiger sozialer Auseinandersetzungen zu machen. Denn die Verantwortlichen sitzen schließlich hier in den Konzernzentralen. Martin Kempe