In Italien brechen andere Zeiten an

■ Nur wenige Demos bei der Neueröffnung von Italiens Parlament / Erste Manöver zur Regierungsbildung / Spadolini Präsident des Senats / Nilde Iotti erneut Präsidentin der Abgeordnetenkammer / Ilona Staller steht im Mittelpunkt

Aus Rom Werner Raith

Das waren noch Zeiten, als eine Gruppe neofaschistischer Abgeordneter dem frischgewählten Volksvertreter Toni Negri den Eintritt ins Parlament verwehrten und dieses fast eine Stunde im Tumult unterging - der Neue kam direkt aus dem Knast, wo er vier Jahre in U–Haft gesessen hatte, unter Anklage, mit der „Autonomia operaia“ einen „bewaffneten Aufstand gegen die Staatsgewalt“ vorbereitet zu haben. Das war 1983. Mittlerweile sind die Anklagen gegen Negri fast alle fallengelassen worden, die Italiener haben ein neues Parlament, die Neofaschisten beschränken sich auf ein Transparent vor und im Palazzo Montecitorio, wo die Deputierten tagen, und auch sonst scheint Politik eher verschwunden aus dem politischen Haus. Zwar treten sich mehr Journalisten als sonst auf die Füße in der engen 30–Meter–“Bannmeile“ - doch alle warten diesmal nur auf „sie“, Ilona Staller, die mit großer Mehrheit sozusagen als Nachfolgerin Toni Negris auf der Liste der Radikalen Partei gewählte Frau, von deren 35 Lebensjahren den Medien bisher nur die Aktivität als Hauptdarstellerin in Porno–Vorführungen aufgefallen ist. Frau Staller kommt freilich rundum eingehüllt, im grünen knielangen Kleid und Trikolorefähnchen in Knöchelhöhe, doch auch für die Reporter fällt genügend ab: „Cicciolina“ hat eine Handvoll Kolleginnen mitgebracht, die brustfrei vor dem Parlament posieren. Da gehen die Sprechchöre der paar Hundert Obdachlosen unter, die Wohnungen fordern, und auch die Neofaschisten mit Rufen nach Freilassung ihres Über–Ideologen Paolo Signorelli kommen kaum durch. Erfolgreicher im publizitären Durchsetzungsvermögen sind allenfalls noch die Grünen, die mit Fahrrädern den Massenaufmarsch gepanzerter Top–Politiker–Autos konterkarieren. Ansonsten alles fein gekämmt und schön gescheitelt - Italiens Politik ist zurückgekehrt ins parlamentarische Drinnen und Draußen: Entschieden wird im Haus mit dem elektronischen Abstimmungshebel, die Manifestationen draußen gelten als brave Willensäußerungen, die man nicht unbedingt beachten muß. Das Spruchband „Referendum“, das die De moproletarier vom Balkon des Montecitorio entrollen, findet kaum einen Fotografen - obwohl es auf eine der massivsten Mißachtungen des Volkswillens in den 40 Jahren italienischer Demokratie hinweist: die zynisch durchgeführte Parlamentsauflösung gerade zur Verhinderung des Volksentscheids über den Ausstieg aus der Kernenergie. „Drinnen“ ist, wie sich komplementär dazu zeigt, auch schon alles gerichtet - die Wahl der Präsidenten von Senat (der Republikaner Spadolini) und Kammer (die Kommunistin Jotti) ist zwischen den großen Parteien abgesprochen, längst bevor die 630 Deputierten und 310 Senatoren zur Urne gingen; als die Grünen, echte Neulinge, die Entdeckerin des Dioxin–Skandals in Seveso, die 70jährige Laura Conti (gewählt über die PCI–Liste), zur Wahl der Kammervorsitzenden vorschlagen und dies kurz begründen wollen, wird ihnen kurz und bündig das Wort entzogen. Natürlich wissen alle, daß so eben Politik abläuft - nur diesmal scheint sich ganz Italien viel stärker als früher damit abgefunden zu haben. Daß Giovanni Spadolini Senatspräsident und damit zweiter Mann im Staat wird (mit üblicherweise großen Chancen, einmal der erste zu werden), werten die Medien einhellig als erstes Manöver im Zuge der politischen Neukonstellationen: Spadolini muß nun den Parteivorsitz abgeben, was dem Sponsor der Republikaner, FIAT–Agnelli, am Herzen liegen soll. Außerdem können die Christdemokraten durch Aufgabe ihres bisherigen Anspruchs auf diesen Posten nun mit mehr Gewicht den Ministerpräsidenten für sich fordern. Das alles stört die 10. Legislaturperiode bisher nicht - die Wirtschaftsblüte und der seit Wochen zeitungsdominierende nackte Busen der Ilona Staller haben offenbar die sonst so demonstrationsfreudigen Italiener blind gemacht. Vorbei die Zeiten, wo sich Feministinnen um ein menschenwürdiges Frauenleben im Mezzogiorno nach vorne drängten. Die „Erhöhung“ der Zahl gewählter Frauen von 53 auf 82 - bei fast 950 Abgeordneten und Senatoren - gilt bereits als großer Erfolg; vorbei die Zeiten, wo die Italiener ihnen korrupt erscheinende Politiker beim Einzug in die Volksvertretung mit Münzen bewarfen und anspuckten. Während Ilona Staller die Presse auf sich zog, schlüpften froh und unerkannt die vor der Wahl wegen Waffenhändel noch schwer angegriffenen ehemaligen Generalstabschefs ins Parlament und ebenso eine Handvoll in mafiosen Geruch gehüllte Abgeordnete aus dem Süden. Vorbei auch die Zeiten, wo Autonome, aber auch parteinahe Jugendgruppen die Mißwirtschaft, die Arbeitslosigkeit, die Korruption in mächtigen Manifestationen bei der Parlamentseröffnung angeprangert hatten und nur von Tausenden bewaffneter Polizisten in Zaum gehalten werden konnten. Diesmal reichten drei Dutzend Uniformierte und allenfalls dieselbe Zahl ziviler Agenten aus, um das Häuflein der eher Schau– als Artikulationslustigen vor dem Palazzo zu dirigieren.