Staatsschutz checkt Berliner

■ Klammheimliche Überprüfung ganzer Betriebe bei hohen Staatsgästen im 750–Jahre–Jahr

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Anläßlich der Besuche hoher Staatsgäste, die das 750jährige Jubliäum der Stadt beschert, ist eine bisher noch nicht feststellbare Anzahl von Berlinern ohne ihr Wissen vom polizeilichen Staatsschutz „sicherheitsüberprüft“ worden. Betroffen von diesem klammheimlichem Check–up sind Personen, deren Wohn– und Arbeitsstätten in unmittelbarer Sichtweite von Besuchszielen der Staatsoberhäupter oder auf deren Fahrtroute liegen. Zur Durchführung der Maßnahme hat sich der Berliner Staatsschutz auch gezielt an Arbeitgeber gewandt und Namenslisten von Beschäftigten angefordert und: teilweise auch erhalten. Zumindest in einem, der taz bekannten Fall hat sogar der Betriebsrat dieser Datenweitergabe an den Staatsschutz zugestimmt. Die Firma liegt in unmittelbarer Nähe des Springer–Konzerns, der im April Besuchsziel des israelischen Staatspräsidenten Herzog war. Dabei hatte sich der Staatsschutz vorbehalten, die Ergebnisse dieser Durchleuchtungsaktion der Belegschaft bis zum Reagan–Besuch zu speichern. Entsprechende Sicherheitsüberprüfungen an Fahrtrouten und Besuchsobjekten von Staatsoberhäuptern, die als gefährdet gelten, gab es außer beim Reagan– Besuch auch bei der Visite von Frankreichs Premierminister Chirac anläßlich der Tour de France. Das bestätigte der Staatsschutz auf Anfrage der taz. Das sei auch im Bundesgebiet durchaus üblich. „Bald die ganze Stadt vom Staatsschutz sicherheitsüberprüft“, so der Kommentar eines über die Weitergabe seiner Daten verärgerten Angestellten eines betroffenen Betriebes. Schließlich hätten die Staatsgäste in den vergangen Wochen sehr unterschiedlich Orte besucht. Fortsetzung auf Seite 2 Und fast immer seien mehrere Varianten für ihre Fahrtrouten ins Auge gefaßt worden. Welche Häuser und Betriebe von Überprüfungen betroffen seien, hänge von ihrer örtlichen Nähe zum Besuchsobjekt des Staatsgastes ab, erläuterte der stellvertretende Leiter des Berliner Staatschutzes, Piete, der taz. Maßgebliches Überprüfungskriterium ist nach Auskunft Pietes, ob man von dem entsprechenden Haus mit einem Fernglas noch eine gute Sicht auf das Besuchsziel des Staatsgastes habe. In den unmittelbaren Überprüfungsradius müßten demnach beispielsweise Anwohner und benachbarte Unternehmen in der Nähe der Berliner Mauer, des Rathaus Schöneberg und der von den Staatsgästen frequentierten Hotels fallen. Piete gab zu, daß man bei diesen Überprüfungen in der jüngsten Vergangenheit „in Einzelfällen“ auch an Arbeitgeber herangetreten sei, um sich über die Beschäftigten zu informieren. „Langjährige, alte Mitarbeiter wird man dabei sicher nicht überprüfen“, schränkt Piete ein. „Es geht eher um Neueinstellungen.“ Nur - so die logische Folgerung - um zu wissen, wer alt oder wer neu in einem Unternehmen ist, muß man erst einmal die Daten aller haben. Wie groß der Personenkreis ist, dessen Daten dann jedesmal durch den Polizeicomputer gejagt werden und mit den einschlägigen Polizeidaten abgeglichen werden, wollte man beim Staatsschutz nicht verraten. Das sei von Staatsbesuch zu Staatsbesuch je nach Besuchsprogramm verschieden. Über Zahlen wollte man auch beim Berliner Datenschutzbeauftragten, mit dem diese klammheimliche Datenweitergabe ungeahnten Ausmaßes abgesprochen wurde, keine Auskunft geben. „Zahlen interessieren uns nicht“, meint dazu der zuständige Mitarbeiter beim Datenschutzbeauftragte, Garstka, „uns interessiert die Rechtmäßigkeit“. Gerade daran hapert es jedoch. Beim Datenschutzbeauftragten gibt man unumwunden zu, daß diese Maßnahme rechtlich nicht gedeckt ist. Denn bisher gebe es „leider“ keine klaren Normen im Polizeirecht für solche Maßnahmen. Dennoch habe man, so Garstka, „mit einem gewissen Bedauern, daß die Rechtsprechung nicht schneller voran geht“, zugestimmt, „daß Sicherheitsüberprüfungen an den Fahrtrouten der gefährdeten Personen durchgeführt werden können. Schließlich sei der Datenschutzbeauftragte auch Teil der Verwaltung und: „Wir müssen einfach bestimmte politische Maßnahmen akzeptieren.“ Bevor sich der Staatsschutz für diese umfassende Sicherheitsüberprüfung den Segen vom Datenschutzbeauftragten holte, habe es mehrere Beratungsgespräche gegeben. Dabei sei vereinbart worden, daß die Daten „gelöscht werden, sobald die Gefahrenlage vorbei ist“. Fristen nannte Datenschützer Garstka nicht. Auch wie die gesamte Überprüfung praktisch vonstatten geht, wollte der Datenschutzbeauftragte nicht verraten. Genausowenig, mit welchen Dateien die Angaben über die betroffenen Personen abgeglichen werden - „aber dazu gehört ja nicht viel Phantasie.“ Die Berliner Alternative Liste verlangt jetzt in einer Kleinen Anfrage Auskunft darüber, wieviele Arbeitnehmer von dieser staatlichen Durchleuchtungsaktion betroffen sind und auf welcher Rechtsgrundlage diese Maßnahmen durchgeführt wurden. Auch der Betriebsrat eines betroffenen Unternehmens will jetzt vom Arbeitgeber Aufklärung über die Datenweitergabe hinter dem Rücken der Beschäftigten. NUKEM Die Abteilung „Organische Konversion“, die ab heute nicht mehr arbeiten soll, ist laut Aussage des Ministers „das Kernstück der Anlage“. Dort werde uranhaltiges Gas chemisch in Uranmetall für Brennelemente in Forschungsreaktoren und in Uranoxid für Brennelemente von Hochtemperaturreaktoren umgewandelt. Die Firma könne allerdings noch bis zum 3. August mit dem nicht stillgelegten Anlagenteil weiter produzieren, wenn sie Vorräte habe oder „zum Beispiel bei französischen Firmen Vorprodukte kauft“. Die Frage, woher er denn das Vertrauen in die NUKEM nehme, daß sie ihrem Versprechen zur „Selbststillegung“ auch nachkomme, mochte Umweltminister Weimar nicht beantworten. Er hoffe auf deren „Einsichtsfähigkeit“ und darauf, daß er sie nicht „anweisen“ müsse. Auch die bloße Zusage der Firma sei rechtsverbindlich nach dem Atomgesetz und müsse eingehalten werden. Wenn aber nichts geschehe, werde er am 4. August eine Anweisung erteilen. Strafrechtliche Konsequenzen für seine Amtsvorgänger und Beamte aus dem Umweltministerium zog Weimar aus der freiwilligen Stillegung der NUKEM nicht. Hätte er allerdings nicht gehandelt, wären auch ihm möglicherweise die Staatsanwälte ins Haus gestanden. Gegen seinen SPD–Amtsvorgänger Steger hatte die Staatsanwaltschaft wegen der Verantwortlichkeit für das Betreiben einer illegalen Atomanlage ermittelt. Und im August beginnen die Verfahren gegen zwei Hanauer Atom–Manager und drei Beamte des hessischen Wirtschaftsministeriums. Die Beamten waren nach Ansicht der Staatsanwaltschaft im sich zwölf Jahre hinschleppenden Genehmigungsverfahren allzu großzügig mit „Vorabzustimmungen“ für die Firma umgegangen.