Adler soll nach Seoul zurückkommen

■ Vom bundesdeutschen multinationalen Textilunternehmen entlassene Arbeiterinnen belagerten die Bonner Botschaft in der südkoreanischen Hauptstadt zwei Tage lang / „Wir wollen verhandeln“ / Angst vor mutmaßlichen Schlägertrupps der Adler–Niederlassung

Aus Seoul Nina Boschmann Gerade haben sich die Tränengasschwaden aus Seoul weitgehend verzogen, schon ist die südkoreanische Hauptstadt wieder mit einer imageschädigenden und daher unwillkommenen Attraktion gesegnet. Zwei Tage lang kampierten Ende letzter Woche neun der vor einigen Wochen von der Niederlassung der deutschen Firma Adler im südkoreanischen Iri entlassenen Arbeiterinnen im Gebäude der deutschen Botschaft in Seoul. Sie wollten ihrer Forderung nach Wiedereinstellung Nachdruck verleihen - eine bislang einmalige Aktion in der Geschichte des als arbeitgeber– freundlich bekannten Schwellenlandes. „Wir wollen mit Adler verhandeln und deshalb soll Adler zurückkommen. Die Botschaft als Vertretung aller Deutschen soll das gefälligst in die Wege leiten“, lautet das Verlangen der zum Teil jungen Arbeiterinnen, die sich bis Freitagabend auf dem Fußboden neben dem Aufzug häuslich eingerichtet hatten. Der Versuch, den zur Zeit in Europa auf Urlaub weilenden Firmenchef auf diese Weise zurückzubeordern, ist aus koreanischer Sicht völlig einleuchtend, hat doch die Regierung hier eindeutig Weisungsgewalt gegenüber großen wie kleinen Unternehmen. Aus der Sicht des deutschen Botschafters ist dies natürlich absurd. Er weist darauf hin, Adler sei ein freier Mann, der sich nach deutschem Recht nichts habe zuschulden kommen lassen. Das Auswärtige Amt sei angewiesen worden, dem Herrn die Beilegung des Konflikts nahezulegen. Während der Botschafter sich so - im wahrsten Sinne des Wortes diplomatisch - aus der Affaire zog, versuchten mehrere Botschaftsbeamte den ganzen Freitag über, das starke öffentliche Interesse an der Aktion zu dämpfen. Wer immer sich den singenden Besetzerinnen näherte, wurde mit penetranten Fragen gelöchert, mußte seinen Ausweis vorzeigen und ward beschieden, daß es sich um ein rein privates Problem handele. Gegen Büroschluß komplimentierten die unauffälligen Herren in den blauen Anzügen die Frauen dann auf die Straße hinaus, wo sie ihr Sit–in fortsetzten - mittlerweile mit der Unterstützung katholischer Nonnen und Gewerkschafter. Parallel versuchen sie mit dem lokalen Management von der Adler–Niederlassung „Flair Fashion“ Kontakt aufzunehmen. Statt der gewünschten Firmenvertreter tauchte dann aber mitten in der Nacht das Gerücht auf, Flair Fashion habe erneut Schlägertrupps geschickt, wie auch während des Streiks, der zu den Entlassungen geführt hatte. Wahr oder nicht wahr, verbrachten die Arbeiterinnen den Rest der Nacht an einem sicheren Ort, kehrten jedoch am Sonntag zurück. Denn Nachgeben wollen sie auf keinen Fall und wenn heute morgen die Botschaft öffnet, wollen sie wieder präsent sein und die Antwort von Adler wissen. Zu tumultartigen Szenen kam es am Samstag bei der Verkündigung der Urteile gegen fünf des Foltermordes an dem Studenten Park Chong Chol angeklagte Polizisten. Nachdem der Richter Urteile zwischen fünf und fünfzehn Jahren Gefängnis verkündet hatte, warfen Angehörige des Studenten und Zuschauer Stühle auf die Staatsanwälte. Park Chong Chol war im Januar während eines Verhörs der Anti–Kommunismus–Sektion der Seouler Polizei unter der Folter gestorben. Sein Fall hatte eine landesweite Demonstrationswelle gegen die Regierung ausgelöst.Foto: ap