Eichmann der Serie B

■ Klaus Barbies Verurteilung zu lebenslanger Haft

In Lyon wurde das Urteil gesprochen, die Höchststrafe verhängt. Niemand wird bei aller Skepsis behaupten wollen, daß die Geschworenen mit Klaus Barbie einen Unschuldigen für den Rest seines Lebens ins Gefängnis schickten. Aber es bleibt doch das Gefühl zurück, daß der Schuldnachweis, der dem Urteil zugrunde liegt, nicht in allen Punkten überzeugend geführt worden ist. Gleichgültig, wer es gesprochen hat, das Urteil stand von vorneherein fest. Denn wäre es nuanciert ausgefallen, hätte sich das ganze Verfahren über das ungeheuerliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht rechtfertigen lassen. Mit seiner Prozeßkritik kommt der Beobachter aus der Bundesrepublik dennoch in eine schizophrene Lage. Er kann sich schlecht über Freisprüche und milde Urteile gegen Nazitäter zu Hause aufregen und dann die Stirn runzeln, wenn ein französisches Gericht einen Nazitäter zur Höchststrafe verurteilt. Aber er kann zu erklären versuchen, daß sein Unbehagen mit dem deutsch–französischen Verhältnis zu tun hat, das in die Problematik des Barbie–Prozesses hineinspielt. Während es in der Bundesrepublik bekanntlich von Nazitätern gewimmelt hat und man nur keine geeigneten Gesetze finden wollte, um ihre Taten angemessen zu ahnden, hat man in Frankreich seit langem über ein geeignetes Gesetz verfügt, allerdings keinen dafür geeigneten Täter gefunden oder finden wollen. Als dann der SS–Obersturmführer Barbie aus Bolivien angeliefert wurde, hat man der Versuchung nachgegeben, ihn zu einem Eichmann der Serie B aufzublähen, damit sich endlich der exemplarische Menschheitsverbrecher vorführen läßt. Für diese Rolle ist Klaus Barbie zu klein, wenn auch kein Zweifel daran besteht, daß dem Gestapochef von Lyon Menschenleben nichts bedeuteten. Er war aber, im Gegensatz zu Eichmann, in seiner Funktion nichts anderes als ein regionaler Außendienstmitarbeiter der nationalsozialistischen Mordfabrik. Barbies Vorgesetzter in der Pariser Zentrale hieß Helmut Knochen, und der ehemalige SS–Oberst Knochen lebt frei in der Bundesrepublik, 1962 begnadigt von General de Gaulle - eine kleine Geste zum Gedeihen der deutsch–französischen Freundschaft. Andere SS–Leute aus Barbies Abteilung, darunter der „Judenspezialist“ Erich Bartelmus, verzehren ebenfalls friedlich ihre deutschen Pensionen. Die französische Justiz trägt ihnen nichts nach, zumal sie in ihren in aller deutsch–französischen Freundschaft gewährten Aussagen dazu beigetragen haben, ihren ehemaligen Komplizen Barbie zu dem diabolischen Alleintäter aufzubauen, der dann so aussieht, als hätte er allein das schwerste Verbrechen begangen und die schwerste Strafe verdient. Warum hat die Bundesrepublik, die doch mehr und mehr nach deutscher Souveränität lechzt, sich nicht darum bemüht, worum sich jeder souveräne Staat bemüht, nämlich um die Aburteilung eines ihrer Staatsangehörigen vor einem nationalen Gericht? Überflüssige Frage: Barbie hat mit Deutschland nichts zu tun, er ist schließlich Ausländer, Bolivianer. Daß ein Täter aus der Dritten Welt vor einem französischen Gericht verurteilt wird, geht die Bundesrepublik nichts an, wenn sie auch gern bereit ist, im Namen der deutsch–französischen Zusammenarbeit ihre Staatsanwälte und Historiker und auch ihre pensionierten Nazis zur Urteilsfindung vor einem Lyoner Gericht beitragen zu lassen. Auf diese Weise hat sie ihren guten antinazistischen Willen gezeigt und ist selbst nicht das Riiko eingegangen, ihre eigene Justiz wie so oft gegenüber einem Nazitäter die Waffen strecken zu sehen, unter dem unangenehmen Protest aus den Nachbarländern. Lothar Baier