I N T E R V I E W „... oder den Saubermann spielen“

■ NUKEM–Experte Michael Sailer (Öko–Institut Darmstadt) über Hanau, Weimar und die Teil–Stillegung

taz: Die NUKEM hat sich selbst stillgelegt, zumindest einen Teil ihrer Anlage. Bedeutet das einen echten Produktionsstopp, oder ist das eine spektakuläre „optische“ Maßnahme? Michael Sailer: Sie bedeutet auf jeden Fall keine dauerhafte Produktionsstillegung. Es ist aber trotzdem mehr als eine „optische“ Maßnahme. Die Altanlage der NUKEM ist seit Jahren in einem Zustand, der gemessen an dem sonst üblichen Standard der Atomindustrie unter aller Sau ist. Seit Jahr und Tag haben Kontrollbeamte, die diese Anlage gesehen haben, erklärt, sie verstehen nicht, weshalb man diesen „Sauladen“ - das ist ein wörtliches Zitat von Untersuchungsbeamten -, weshalb man den nicht dichtmacht. Was Weimar durchsetzen will, ist die Nachrüstung der NUKEM auf den normalen Stand der Atomindustrie. Das wird einige Monate dauern, solange ist die Produktion unterbrochen. In dieser Zeit werden dann keine Brennelemente produziert? Die NUKEM wird vielleicht die Endmontage ihrer Brennelemente aufrechterhalten können, aber sie kann keine neue Charge Brennelemente herstellen. Der neue Umweltminister Weimar hat innerhalb weniger Wochen mehr erreicht als die SPD–Clique in Jahren? Weimar ist noch schwer einzuschätzen. Aber klar ist, daß er sich durch intensives Akten–Studium voll eingearbeitet hat, für einen Minister sehr weitgehend. Weimar steht vor der Alternative, den Hanauer Sumpf, der öffentlich ist und von Staatsanwälten durchleuchtet wird, zu übernehmen und in diesem Sumpf selbst unterzugehen, oder er setzt sich davon ab, versucht sich als Saubermann zu profilieren und die Anlage nachzurüsten. Glaubst du, daß die hessische Regierung den Hanauer Atomfirmen Bestandsgarantien gegeben hat? Die NUKEM ist auf jeden Fall nicht in ihrer Existenz bedroht. Die Neuanlage steht ab 1989 und wird von Weimar so auch genehmigt werden. Das hieße, daß es im äußersten Fall zu zwei Jahren Produktionsstopp kommen könnte, falls die Nachrüstung der alten Anlage nicht gemacht wird oder nicht den Anforderungen entspricht. Welche Auswirkungen hätte diese Stillegung von maximal zwei Jahren auf die deutsche Atomindustrie, NUKEM ist ja unverzichtbar für den Hochtemperaturreaktor. Das ist richtig. Allerdings hat die NUKEM auf Vorrat produziert. Außerdem hat der HTR wegen verschiedener Pannen bisher sehr viel weniger Brennelemente verbraucht. Ich glaube, daß eine zweijährige Stillegung keine erheblichen Auswirkungen haben wird. Mal ein Wort zur SPD. Von der ist bislang kein Pieps zu hören. Die SPD hat den Sumpf gemeinsam mit der FDP produziert. Sie hat jahrelang den Deckel draufgehalten. Sie hat ihr Konzept von der Solidarität bis in den Untergang bei der NUKEM exerziert, und sie schafft es auch jetzt nicht zu sagen, daß ihr Ex–Wirtschaftsminister Steger jahrelang diesen Riesenskandal gedeckt hat. Ausschlaggebend für die Teilschließung von NUKEM war ein Gutachten des TÜV Bayern und der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, beides atomfreundliche Vereine ... Auch extrem atomfreundliche Vereine müssen - in ihrem eigenen Interesse - darauf achten, daß ein Minimum an Sicherheit eingehalten wird. Und was die NUKEM bietet, weicht nach unten so stark ab, daß TÜV und GRS nicht mehr anders konnten. Ist das nicht dasselbe Kalkül, das man bei der CDU vermuten kann? Die Sicherheitsprobleme bei der NUKEM sind so gravierend, daß sie die gesamte Atomgemeinde bedrohen. Dagegen steht ein knallhartes kapitalistisches Interesse an einem Sicherheitsminimum. Und daß dieses Minimum bei der NUKEM unterschritten ist, hat Weimar offenbar bei seinem Aktenstudium begriffen. Interview: Manfred Kriener