Wieder Proteste in Seoul

■ Verletzter Student in Klinik gestorben / Opposition stellt Regierung Ultimatum: Keine Verhandlungen vor der Freilassung der politischen Gefangenen

Seoul (ap/taz) - Nach dem Tod eines Studenten ist es am Sonntag in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul erneut zu Protestkundgebungen gekommen. In Kwangju im Süden des Landes ging die Polizei mit Tränengas gegen Demonstranten vor, die eine Kundgebung für eine demokratische Verfassung planten. Offiziellen Angaben zufolge wurden 27 Menschen festgenommen. Unterdessen forderten die beiden Oppositionspolitiker Kim Dae Jung und Kim Young Sam die Regierung von Präsident Chun Doo Hwan ultimativ auf, ihr Verspre chen der vergangenen Woche einzulösen und alle politischen Häftlinge freizulassen. In der Klinik der Yonsei–Univeristät von Seoul starb am Sonntagfrüh der 20jährige Student Lee Han Yul. Er war am 9. Juni von einem Tränengasgeschoß am Kopf verletzt worden und hatte seither im Koma gelegen. Aus Kreisen der Opposition war in den vergangenen Wochen wiederholt der Vorwurf laut geworden, daß der Student auf Regierungsanweisung künstlich am Leben gehalten werde, um keinen Märtyrer zu schaffen. Nach Bekanntwerden der Nachricht ging die Polizei mit Tränengas gegen rund 2.000 Stundenten vor, die in die Innenstadt ziehen wollten. Nach dem Polizeieinsatz begaben sich die Studenten zur Universitätsklinik, wo sich bereits eine große Trauergemeinde versammelt hatte. Sie riefen zu Trauergottesdiensten und Versammlungen im ganzen Land auf. Fortsetzung auf Seite 6 Zum Urteil im Folterprozeß und dem Sit–in von Arbeiterinnen der Firma Adler siehe auch Seite 7 Sie verteilten Flugblätter, die die Regierung beschuldigt, trotz zugesagter demokratischer Reformen „das Volk weiter zu unterdrücken und die Diktatur fortzuführen“. Der Polizeichef von Seoul bekundete unterdessen sein Bedauern über den Tod des Studenten und versprach, dafür zu sorgen, daß sich ein solcher Vorgang nicht wiederhole. Nachdem Präsident Chun Doo Hwan letzte Woche ankündigte, demokratische Reformen einzuführen, konzentriert sich das Augenmerk jetzt auf die Entschädigung der Opfer des Kwanju–Aufstandes von 1980. Dieser Zusammenhang ist vermutlich kein Zufall; die erste große Demonstration gegen das Regime seit Chuns Zusicherungen fand dort statt. Zum anderen geht es um die Frage der Freilassung der politischen Gefangenen. Die beiden Kims drohten in einem Ultimatum, den Druck auf die Regierung zu verstärken und die Gespräche über demokratische Reformen solange zu unterbrechen, bis die Regierung alle Häftlinge freigelassen habe.