Das Prinzip Weizsäcker

■ Der Präsident reist nach Moskau

Treue Fernsehzuschauer werden sich erinnern: Vor etwa 15 Jahren gab es den „LENOR“–Geist, ein Double der Hausfrau, das gegen Kratzigkeit und Phosphatgeruch agitierte. Das „Gewissen“. Diesem schlichten dramatischen Muster folgt jetzt das öffentliche Wirken unseres Bundespräsidenten. Er ist nicht mehr als eine Art schizoide Abspaltung des ideellen Gesamt–Reaktionärs, ein Kuschelweich– und Aprilfrisch– Pendant der harten Konservativen, die - offen wie Dregger und Strauß oder hinter Debilität versteckt wie Kohl - anders als Weizsäcker Revanchismus, Aufrüstung und imperialistische außenpolitische Kalküle predigen. Weizsäcker dagegen reist und macht Stimmung für die guten Deutschen. Er selbst, die Trivialitäten und treuherzig–simplen historischen Betrachtungen, die er von sich gibt, - nicht der Rede wert! Deprimierend ist, daß ein so einfallsloser, rundum altliberales und sozialdemokratisches Gedankengut plagiierender Langweiler als großer Deutscher gefeiert wird. Wenn er jetzt in Moskau zu Protokoll gibt, er bedenke die Leiden der Sowjetvölker im „Großen Vaterländischen Krieg“ als einer, der „als Soldat den ganzen Krieg und seine Not miterlebt hat“ - dann fällt die Erkenntnis, daß da einer spricht, der den Krieg überzeugt auf der Angreiferseite mitgemacht hat, längst der BRD–verbreiteten historischen Amnäsie zum Opfer. In Zeiten, da die einfachsten Regeln weltpolitischen Anstands von Wendeköpfen weggeräumt werden, gilt einer als Held, der immerhin noch weiß, daß Schwule und Kommunisten unter den Nazi–Opfern „auch Menschen“ waren. Traurig, daß man sich heute freuen muß, daß es noch ein paar Exponenten des Prinzips Weizsäckers gibt. Zur Zeit des „Lenor–Gewissens“ dagegen amtierte der letzte politisch und persönlich glaubwürdige Präsident dieser Republik, Heinemann. Klaus Nothnagel