I N T E R V I E W „Man muß bei der Chronologie bleiben“

■ Hessens Ex–Umweltminister Joschka Fischer aus der italiensichen Sonne zur NUKEM–Teilstillegung

taz: Wie beurteilt der Ex–Umweltminister Joschka Fischer die NUKEM–Teilstillegungsverfügung seines christdemokratischen Nachfolgers Karlheinz Weimar? Fischer: Das ist nur eine vorübergehende Teilstillegung, die verhindern soll, daß in Hanau Recht und Gesetz zur Anwendung kommen. Es handelt sich um eine schlichte Nachrüstung, die den atomgesetzlich geforderten Sicherheitsstandards nicht gerecht werden wird. Das ganze scheint mir ein abgekartertes Spiel: Zum einen werden Bestandsgarantien auch für NUKEM–alt abgegeben. Zum anderen wird lediglich nachgerüstet. Aber Weimar hat mit seiner Teilstillegung zumindest das vollzogen, was der SPD–Wirtschaftsminister Steger schon 1984 hätte tun müssen. Die jetzt vorgelegte Mängelliste entspricht doch der bereits 1982 von TÜV und GRS erstellten für NUKEM–alt. Das ist ohne Zweifel richtig. Deshalb fordern wir ja auch die Einrichtung eines Hanau– Untersuchungsausschusses. Da müssen dann alle Akten auf den Tisch. Auch die anderen Hanauer Anlagen befinden sich ja in einem haarsträubenden Zustand. Dazu kommt die Bestechungsaffäre bei Transnuklear. Aber wie konnte es denn passieren, daß - in einer rot–grünen Koalition - ein roter Mini ster eine solche Mängelliste in einem schmutzigen „deal“ mit der NUKEM einfach vom Tisch wischen durfte? Ganz einfach. Wir kamen an die atomrechtlichen Akten nicht heran, obgleich ich das auf dem Dienstweg - über den Justizminister - mehrfach versucht habe. Wir haben das noch am 8.10.86 schriftlich von Steger gefordert und nichts ist passiert. Wir haben dann das Geulen–Gutachten in Auftrag gegeben, weil wir endlich Klarheit haben wollten, auch über die Zuständigkeiten. In seinem Gutachten kam Rechtsanwalt Geulen dann zu dem Schluß, daß die NUKEM über den fehlenden Immissionsschutz nicht zu schließen sei. Die SPD behauptet jetzt genau das Gegenteil. Du hättest als Umweltminister über den Immissionsschutz einen Hebel zur Stillegung der Betriebe gehabt, ihn aber nicht benutzt. Hier muß man klar trennen. Die SPD behauptet das in Bezug auf die Plutoniumfabrik ALKEM, nicht auf NUKEM–alt. Aber in Sachen ALKEM behauptet jetzt selbst Krollmann, daß du die Plutoniumfabrik hättest schließen können und müssen, aufgrund deiner Zuständigkeit für den Immissionsschutz. Hier muß man bei der Chronologie bleiben: Bei ALKEM gab es die klare Koalitionsvereinbarung, daß der Betrieb nicht genehmigt wird. Als Steger das am 8.1.87 sabotiert hatte, haben wir sofort reagiert. Ich habe Börner damals klipp und klar erklärt, daß ich mein Einverständnis als Immissionsschutz–Minister verweigern würde. Börner hat mich dafür hart angegriffen. Selbst Wallmann hat ja dann Steger aufgefordert, dieses Einverständnis mit mir herzustellen. Nur dazu ist es dann nicht mehr gekommen. Ich flog aus der Regierung raus. Wir haben also diesen Immissionsschutz–Hebel sehr wohl genutzt. Nur politisch war das nicht durchsetzbar mit Börner. Wir haben nach der ALKEM–Genehmigungsankündigung durch Steger auch sofort bei Geulen ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben, das allerdings erst fertig wurde, als ich nicht mehr im Amt war. Im Moment zerfleischen sich SPD und Grüne in wechselseitigen Schuldzuweisungen - und die CDU reibt sich die Hände. Daß jetzt von der SPD versucht wird, hier eine Entlastungsfront hochzuziehen, hängt eng mit unserer Forderung nach dem Untersuchungsausschuß zusammen. Jetzt muß offengelegt werden. Dann wird man sehen, was Wahlkampfnebel und was Fakten sind. Das wird bei der SPD über die Schmerzgrenze hinausgehen. Wir haben diesen Untersuchungsausschuß nicht zu fürchten. Interview: Klaus–Peter Klingelschmitt