Fallout im europäischen Film und Fernsehen

■ Das 4. Europäische Umweltfilm–Festival im englischen Birmingham wurde von den Auswirkungen Tschernobyls geprägt Allgemeine Ratlosigkeit unter den Filmern über die Vermarktung ihres Genres / Deutsche Filme zu schulmeisterhaft

Aus Birmingham Rolf Paasch

Birmingham, die zweitgrößte Stadt Großbritanniens, Traum der Stadtplaner und Alptraum für Bewohner wie Besucher. Eine Stadt, in der das soziale Überleben von der detaillierten Kenntnis des dichtgespannten Stadtautobahnnetzes abhängt, wo der Besucher nur mit Schwierigkeiten vom „Motorway“ zu den Wohnquartieren und ins Stadtzentrum findet. Ausgerechnet hier im betonverschalten „Paradise Center“ fand in dieser Woche das 4. Europäische Umweltfilm–Festival „Ecovision“ statt. 42 Wettbewerbsfilme aus 14 Ländern über das Verhältnis Mensch und seine Umwelt und noch mal ebensoviel Beiträge im Rahmenprogramm wurden gezeigt. Von der Vernichtung des tropischen Regenwaldes im Amazonasbecken bis zur Zwangsumsiedlung eines polnischen Dorfes; von der Überfischung der Weltmeere bis hin zu den Arbeitsbedingungen der Arbeiter im Pariser Abwässersystem; Sonnenenergie, Saurer Regen und natürlich Tschernobyl. Kein Festival der Massen, sondern ein Insider– Treffen der Profis. Die medialen Multiplikatoren der umweltpolitischen Message diskutierten über filmische Mittel, über Ausdrucksformen und Genres. Umwelt erwies sich in den Gesprächen wie im Film als sperriges Thema, weil es die Popularisierung der Bedrohung erfordert, die Überwindung des Nicht–Wissen– Wollens. Wie denn genau die Kluft zwischen den hier vertretenen, umweltbewußten Medienproduzenten und dem oft desinteressierten Publikum zu schließen sei, das wußte auch der Leiter des das Festival ausrichtenden Umweltinstitutes, Alain Sagne, nicht genau zu sagen. Vielleicht durch das Dokumentar–Drama, die vor allem von den Briten beherrschte Mischung aus Natur– und Dokumentarfilm mit dramatischen Elementen; wie z.B. „Seeds of Hope“, der Film des Engländers Charles Stewart, der die Geschichte eines kleinen äthiopischen Dorfes zwischen 1983 und 1985 verfolgt hatte. „Das würde doch bei uns keiner bezahlen“, so eine etwas neidische Redakteurin aus der deutschen Fernsehwelt. Doch es geht auch mit geringerem finanziellem Aufwand. Dreijährige Kontakte mit den Bewohnern eines Dorfes im nördöstlichen Polen und regelmäßige Besuche eines vierköpfigen Filmteams münden in den eindrucksvollen nur 17 Minuten langen Film des Polen Ireneusz. Augezeichnet war (und wurde) auch der bundesdeutsche Dokumentarfilm „Dschungelburger“ über die internationale Hackfleischordnung. Der Weg der täglich 25 Millionen verspeisten Hamburger aus Costa Rica, „wo die Urwälder durch Fleischberge ersetzt werden“, bis zur uns wohlbekannten Theke des McDonald–Restaurants. In informativen, witzig geschnittenen und mit lockerem Kommentar versehenen Bildern wird dem Zuschauer vor Augen geführt, wie sich in Costa Rica das Ende des ökologischen Gleichgewichts andeutet, während der McDonald–Repräsentant im Interview „ein Ende unseres Wachstums“ nicht abzusehen vermag. Was bei einigen anderen bundesdeutschen Beiträgen dagegen auf fiel, war die Zerstörung der gutgemachten Filme durch einen allzu schulmeisterlichen und gestelzten Kommentar. Wie in „Landleben“, wo die widersprüchliche Annäherung des Städters/Regisseurs an die Bauernfamilie zwar wunderbare Bilder hervorbringt, der allzu aufdringliche Kommentar dann aber hinter dem visuellen Eindruck zurückbleibt. Wurde der Film über das „Landleben“ unfreiwillig zur Reportage über die Auswirkungen Tschernobyls, weil der Fallout während der Dreharbeiten niederging, so hatten die Veranstalter in Birmingham Tschernobyl bewußt zum Schwerpunkt ihres Festivals gewählt. Einen ganzen Tag lang diskutierten Journalisten, Pressesprecher und Atomexperten über die nachrichtenmäßige Behandlung des „größten nicht–sportlichen Medienereignisses seit Beginn des Fernsehens“. Da war vom Versagen des Journalismus die Rede und vom Mangel an qualifizierten Wissenschaftsredakteuren, so als könnten letztere eine unbeherrschbare Technologie mit ihrem Wissen zähmen. Andere forderten den „Sherlock Holmes– Reporter“, der das Informationsmonopol des Staates aufbrechen solle. Hemmungslos und endlos wurde debattiert, wie der Informationsfluß „beim nächsten Mal“ verbessert werden könne. Am Ende blieb es der bundesdeutschen Grünen Lilo Wollny überlassen, ihren Unmut über die mediale Vorbereitung des nächsten Super–Gaus auszudrücken. An dieser Stelle wurde dann deutlich, was dem Festival fehlte: eine ausreichende Zahl von Aktivisten aus der Umweltbewegung, die die versammelten Medienexperten an die eigentliche Themen erinnerten. „Aber diese Aktivisten“, so der Festival–Chef Alan Sagne beinahe verzweifelt, „die kommen einfach nicht“.