Die Herborner Sicherheitsorgie

■ Nach dem schweren Tanklaster–Unfall überbieten sich Politiker und Verbände mit Forderungen zur Nachrüstung der LKW / VCD geißelt „üble Diskussion“, die am Thema vorbeigeht / Kohl und Warnke erleiden „tiefe Erschütterung“ und sagen „unbürokratische Hilfe“ zu

Herborn/Berlin (taz/dpa) - Nachdem sich die letzten noch vermißten Personen gemeldet haben, steht die Opfer–Bilanz der Tanklaster–Explosion von Herborn fest: Vier Tote, 38 Verletzte, 40 Obdachlose. Bundeskanzler Kohl und Verkehrsminister Warnke haben unterdessen „tiefe Erschütterung“ bis „aufrichtige Teilnahme“ bekundet und „unbürokratische Hilfe“ zugesagt. Dominiert werden die Reaktionen auf das Unglück von einer Orgie an Sicherheitsforderungen. Verkehrsminister Warnke rief als Sofortmaßnahme den Beirat für Gefahrengüter zusammen, das Bundesforschungsministerium stellte noch am Mittwoch den Prototyp eines neuen, hypermodernen Hochsicherheits–Tanklasters vor. Elektronische Luftdrucküberwachung aller Reifen, Anti– Blockier–Bremssystem, ein um 30 Zentimeter tiefer liegender Schwerpunkt, der ein Umkippen verhindern soll, breitere Reifenspur, Fernsehkamera am Heck und Fernsehmonitor im Fahrer haus sowie eine automatische Löschanlage sollen den Super–LKW unfallsicher machen. Der auf den Namen „TOPAS“ hörende Prototyp (“Tankfahrzeug mit optimierten passiven und aktiven Sicherheitseinrichtungen“) hat aber bereits zu neuen Problemen geführt. Angesichts der hohen Sicherheitsreserven seien die Probe–Fahrer teilweise „wie der Teufel“ gefahren. Währenddessen ist bekannt geworden, daß der in Herborn verunglückte LKW erst drei Monate alt war und als „modernstes und sicherstes Fahrzeug seiner Klasse in Europa“ gilt. Das jetzt überall geforderte Anti–Blockier–Bremssystem war in dem Katastrophen– Fahrzeug ebenso vorhanden wie eine elektropneumatische Schaltung und anderer Sicherheits– Kicki, der den Unfall dennoch nicht verhindern konnte. Der Fahrer des LKW, Josef Vogt, wird als „besonders zuverlässig“ beschrieben. Er habe zum Unfallzeitpunkt erst etwa zwei Stunden am Steuer gesessen. Vogt befindet sich mit schweren Verletzungen im Krankenhaus und wurde gestern vernommen. Der Transport explosiver und wassergefährdender Stoffe müsse weitgehend auf die Schiene verlegt werden, verlangten gestern die Grünen. Tempo 30 innerorts solle für alle Großtransporte verbindlich vorgeschrieben werden, das Schienennetz flächendeckend erhalten bleiben. Brigitte Kunze, Verkehrsberaterin beim alternativen Verkehrsclub VCD kritisierte die „üble Diskussion“, die sich darauf beschränke, die LKW sicherer zu machen. Im Verhältnis Straße/ Schiene gebe es im Fernverkehr eine verhängisvolle Tendenz zur Straße, die man zum Thema machen müsse. 1980 habe das Verhältnis im Ferntransport gefährlicher Güter noch 63:37 zugunsten der Schiene betragen, fünf Jahre später schon 51:49. Das Unfallrisiko sei auf der Schiene 500 mal geringer. Der VCD weist außerdem darauf hin, daß die Bundesregierung im August 1985 erklärt habe, daß es grundsätzlich möglich sei, mit dem Zubau weniger Veladebahnhöfe eine flächendeckende Schienen–Versorgung soweit sicherzustellen, daß jeder Transport von mehr als 150 km mit der Bahn abgwickelt werden könne. Manfred Kriener