: Neue Massaker in kurdischen Dörfern
■ Nach den blutigen Massakern der vergangenen Tage in kurdischen Dörfern gab es erneut Anschläge in den kurdischen Provinzen / Ministerpräsident Özal, der zur gleichen Zeit durch die Provinzen reiste, machte „Kommunisten und Gottlose“ verantwortlich
Aus Istanbul Ömer Seven
19 Tage nach dem blutigen Massaker der kurdischen Guerilla–Organisation PKK in dem Dorf Pinarcik, bei dem 30 kurdische Dorfbewohner getötet wurden, fielen in der Nacht zum Donnerstag an verschiedenen Orten insgesamt 31 Personen mutmaßlichen PKK–Anschlägen zum Opfer. Unter den 31 Ermordeten sind 19 Kinder und Babys. Die Anschläge in zwei Dörfern der südöstlichen Provinz Mardin und in einem Dorf der Provinz Hakkari zielten ausschließlich auf kurdische Dorfbewohner und deren Familienangehörige, denen Kollaboration mit dem türkischen Staat vorgeworfen wird. Zur Zeit der Massaker befand sich Ministerpräsident Özal anläßlich der Bauarbeiten eines riesigen Staudammprojektes in der Provinzstadt Urfa in unmittelbarer Nähe der Dörfer auf Propaganda–Tournee. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurden zeitgleich in dem Dorf Yuvali und in dem Dorf Pecenek zwei Familien Opfer der Anschläge. In Yuvali suchten die Attentäter nach Nuri Dag, dem Verrat eines PKK–Mitgliedes vorgeworfen wird. Als dieser nicht im Dorf anwesend war, wurden die Familienangehörigen im Alter zwischen zwei und 65 Jahren mit Handgranaten und Maschinenpistolen ermordet. Zeitgleich wurde in dem 20 Minuten von Yuvali entfernt liegenden Dorf Pecenek der Dorfvorsteher Istik und 16 Familienangehörige ermordet. „Wir sind die PKK. Kampf bis zum Tod!“ riefen die Attentäter nach Augenzeugenberichten. Auch dem Dorfvorsteher wird Verrat an der PKK und Kollaboration mit dem türkischen Staat vorgeworfen. Die Attentäter hatten auch die Zugangsstraße nach Yuvali vermint, so daß ein Minibus, in dem sich nach Bekanntwerden des Blutbades Trauergäste befanden, auf eine Mine fuhr. Drei Personen kamen dadurch ums Leben. Ebenfalls wurden in der Provinz Hakkari zwei Dorfmilizionäre erschossen. Ein paar Stunden vor dem Blutbad hatte Ministerpräsident Özal in einer Rede in der Stadt Mardin nahe der syrischen Grenze den Niedergang der PKK konstatiert und die PKK aufgefordert, die Waffen niederzulegen. Politische Beobachter werten den Anschlag der PKK als eine politische Machtdemonstration angesichts der gewaltigen Sicherheitsvorkehrungen bei Özals Reise durch die kurdischen Provinzen und verweisen darauf, daß die PKK in unmittelbarer Nähe des Ministerpräsidenten die Anschläge verüben konnte. Seitdessen leugnet Özal, daß das Blutbad in irgendeinem Zusammenhang mit seiner Rede in Marvdin stehen könnte. Ministerpräsident Özal, der nach den Vorfällen per Helicopter in die Dörfer eingeflogen wurde, zog es vor, die Geschehnisse herunterzuspielen. Nach kurzem Gespräch mit den Dörflern und dem Beschauen der Leichen erläuterte er: „Die PKK hat, Sympathisanten mitgerechnet, 3.496 Anhänger. 1.970 haben wir. Unsere Verluste belaufen sich auf 644. Bei solchen Kriegen ist das eine gute Relation, äußerst produktiv.“ Die parlamentarische Opposition übte unterdessen scharfe Kritik am Verhalten des Ministerpräsidenten und forderte den Rücktritt von Innenminister Erdal. Sie kritisierten die von der Özal–Regierung verfügte Einführung von Dorfmilizen. Diese Praxis hebe das staatliche Gewaltmonopol auf und eskaliere die Auseinandersetzung zu einem Bürgerkrieg. Kurdische Sippen, die in die Dorfmiliz eintreten, sind in letzter Zeit oftmals Opfer von PKK–Anschlägen geworden.
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