Bilder der Enge erweitern den Blick

■ Mit Malerinnen des 19. Jahrhunderts wurde das Frauenmuseum in Washington eröffnet / Die Ausstellung ermöglicht einen subtilen Blick auf Frauengeschichte - jenseits des „lauten“ Feminismus

Von Silvia Sanides–Kilian

Es ist nicht eines der edelsten Viertel Washingtons, das seit Anfang April das erste Frauenmuseum der Welt beherbergt. Nur zwei Straßenzüge vom Weißen Haus liegt das „National Museum of Women in the Arts“, doch der Weg dahin führt mich über Straßen mit tiefen Schlaglöchern an Peepshows, Pornokinos und dem amerikanischen Äquivalent von Beate Uhse– Läden vorbei. Imposant ragt das graue renovierte Gebäude im Neo–Renaissance–Stil über den umliegenden Schmuddel heraus, und das Innere empfängt mit kühler Stille im Kontrast zu Straßenlärm und Staub. Von Kunstmuseum ist jedoch zunächst nichts zu bemerken. Über zwei Stockwerke erstreckt sich der immense Innenraum: Breite Marmortreppen führen zu einem nach innen offenen Zwischenstockwerk mit weit ausladenden Balkons und geschwungenen Balustraden. Kristallne Kronleuchter, Plüsch, Gold umd Marmor überall. Die aufgeputzte Halle, erfahre ich später, soll zur Finanzierung des Museums beitragen. Als Festhalle vermietet, kann sie bis zu 1.000 Gäste aufnehmen und um die 7.000 Dollar pro Abend einbringen. Noch habe ich kein einziges Kunstwerk erspäht, bin mir nicht ganz sicher, ob ich mich am rechten Fleck befinde. Eine kleine Tafel weist den Weg zur Eröffnungsausstellung des Museums im dritten Stock: amerikanische Künstlerinnen von 1830 bis 1930. Während ich eintrete, streife ich den Ballast von Kritik an diesem Museum, die sich in den letzten Wochen in der Presse ergoß, vom mir ab ..., und bin erstaunt, wie einfach das ist: Denn ich bin angezogen, fasziniert, von dem was ich sehe und kann nicht genug bekommen. Stilleben, Porträts, Landschaftsmalerei und Genrebilder spiegeln ein Jahrhundert amerikanischer Frauengeschichte wider. In „Kriegsgeist daheim“ (Lily Martin Spencer), das während des Bürgerkriegs entstand, marschieren Kinder mit Pauken und Trompeten um die zeitungslesende Mutter. Einwandererfrauen und Kinder versammeln sich um ein Telegramm im „Gewahrsamsraum, Ellis Island“ (Martha Walter). Minderheiten sind hier vertreten, malend und gemalt: Das Porträt einer schwarzen Frau, gemalt von einer Schwarzen (Laura Wheeler) - ein ernstes Gesicht mit in sich gekehrtem Blick. Indianer auf dem Marktplatz von Taos. Frauen beim Einkauf, Waschfrauen, Frauen in einer politischen Versammlung eingesprenkelt in eine Überzahl von Männern, Frauen beim Musizieren und für den Ball herausgeputzt, Frauen mit Kindern und Kinder, immer wieder Kinder. Alltägliche Szenen einer Frauenwelt mit ihren traditionellen Einengungen und Verpflichtungen. Die Stilleben, reichlich vertreten, unterstreichen die Enge, in der sich auch die Künstlerinnen befanden. Für die Frauen war es schicklich, zu Hause zu bleiben, Obst, Blumen und Bücher zu ma len: Der Schritt zum rein Dekorativen, zur Stickerei und anderen Handarbeiten war nicht zu weit. Nein, Feministisches gibt es hier nicht zu sehen. Doch nur wenn Feminismus lediglich bewußter Frauenbefreiungskampf bedeuten soll, ist diese Kritik, die seit der Eröffnung dieses Museums immer wieder laut wurden, berechtigt. Das Gefühl, unter Frauen zu sein und eine Regung der Sympathie, Verständnis für die Künstlerinnen, die sich in einer Männerwelt haben durchsetzen müssen, begleiten mich beim Gang durch die Ausstellung mit jedem Schritt. Die Hürden, die Frauen nehmen mußten, um in die Welt der Kunst eingelassen zu werden, waren enorm: Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren Kunstakademien für Frauen geschlossen. Lediglich durch künstlerisch tätige Brüder, Freunde oder Ehemänner konnten sie indirekt Kunst studieren. Und bis 1985 wurde in dem an den amerikanischen Universitäten am häufigsten verwandten Lehrbuch über Kunstgeschichte nicht eine Künstlerin erwähnt. Der Anforderung, politisch– feministisch zu wirken, lauthals zu protestieren, wird das Museum nicht gerecht. Doch Feminismus kann auch subtiler sein: Wenn Schulklassen durch das Frauenmuseum geführt werden, sollte die Erkenntnis, daß es auch Künstlerinnen gibt, Allgemeinwissen werden, Vorbilder schaffen. Wer wie ich durch die Ausstellung geht und sich Frauen verbündet fühlt, die vor hundert Jahren an die von der Männerwelt gesetzten Grenzen stießen, mag sich, wie ich, erneut einer Frauensolidarität von heute verpflichtet sehen. Das Museum sei in erster Linie Zeugnis von den „eingeschränkten Möglichkeiten“ von Frauen in der Kunst, so die Kritiker. Es diene lediglich der „Bewußtseinsbildung“ und, erfülle es sein Ziel, dann müsse es „sich selbst zerstören“. Dem habe ich nichts entgegenzusetzen. Auch die Frauenbewegung, so wurde seinerzeit gemunkelt, werde sich letztendlich erübrigen - sobald sie ihre Ziele erreicht habe. Einstweilen aber sind die das Museum umgebenden Pornokinos und Peepshow–Etablissements und ja, auch viele der Gemälde der Ausstellung selbst Zeugnis genug dafür, daß Frauenbewegung und Frauenmuseum noch weit davon entfernt sind, sich nach erfülltem Zweck selbst aufzulösen.