„Ollie, we love you“: USA im North–Fieber

■ US–Fernsehgesellschaften verzichteten auf eine Million Dollar täglich, um Norths Auftritte nicht durch Werbespots unterbrechen zu müssen / North auf allen Titelseiten / Solidaritätsdemonstration von Ollie–Fans vor dem Senat

Aus Washington Stefan Schaaf

„Leider ist es fast unmöglich, heute hineinzukommen“, sagt der Verantwortliche in der Senatspressegalerie. „Fast unmöglich?“ frage ich. „Nun, nein, es ist ganz unmöglich“, korrigiert sich der junge Mann mit dem korrekten Hemd und dem ungeheuer freundlichen Lächeln. „Aber hier ist ein Antragsformular für unseren regulären Presseausweis, das müssen Sie ausfüllen, und dann brauchen wir noch einen Brief von Ihrem Chefredakteur und einen von der Botschaft...“ Und so endet eine dreiviertelstündige Odyssee durch die Hallen des Capitols dort, wo sie begonnen hat: am Eingang des „Russell Office Building“, in dem am Freitag der vierte Tag der Anhörung Oliver Norths, stattfindet. Eine lange Schlange Neugieriger schmort am Eingang des Gebäudes in der Hitze, um bei diesem historischen Ereignis dabeizusein. Ganz vorn in der Reihe sitzen vier kartenspielende Abiturienten aus Köln, die seit sechs Uhr morgens auf den marmornen Treppenstufen ausgeharrt haben, um nachmittags um halb drei endlich für eine halbe Stunde ins Allerheiligste eingelassen zu werden. „Ollie“ war überall, schon am Montag ging es los: Ollie auf dem Titelblatt von Time, Newsweek und US News and World Report, Ollie in den Schlagzeilen aller Tageszeitungen von der New York Times bis zum Honolulu Star–Bulletin, Ollie im Radio, im Taxi und in der U–Bahn. Sogar im Flugzeug verlangten Reisende, die Übertragung der Hearings verfolgen zu können. Und natürlich vor allem: Ollie im Fernsehen, auf allen Kanälen und von morgens um neun bis abends um fünf, danach in den Abendnachrichten und um Mitternacht in den Talkshows. Eine Million Dollar Einnahmen verloren die Fernsehgesellschaften pro Tag, weil sie den Auftritt des Oberstleutnants nicht mit Werbespots unterbrachen. Nach vier Tagen elektronischer Ollie–Bestrahlung hat die Öffentlichkeit ihr Urteil über den Mann in der grünen Marineuniform gefällt. Ollie hat die Herzen und Sympathien gewonnen. Nicht weil die Zustimmung zu seinem politischen Handeln gewachsen wäre, sondern weil seine Persönlichkeit glaubwürdig ist, weil er, der Underdog, für seine Überzeugungen geradesteht, während seine Vorgesetzten sich in die Unsichtbarkeit zurückgezogen haben. Bereits nach zwei Tagen ging es los. Fernsehstationen wurden mit Anrufen eingedeckt, in denen Unterstützung für Ollie ausgedrückt wurde, dann gingen beim Untersuchungsausschuß Stöße von Telegrammen ein, die North feierten, und am vierten Tag veranstalteten Ollie–Fans eine veritable Demo vor dem Senatsgebäude. Das ganze Land war vom Ollie– Fieber gepackt. Dabei waren die Offenbarungen des Oberstleutnants nicht von Pappe: Belogen habe man die Iraner, den Kongreß, ja das Kabinett, Dokumente habe man kubikmeterweise vernichtet, selbst als die Beamten des Justizministeriums danebensaßen; und wenn es nach CIA–Direktor Casey gegangen wäre, hätte man nicht nur die Contras, sondern noch ganz andere Typen mit dem Schwarzgeld aus North und Secords Kasse finanziert. Doch er habe nur Anordnungen ausgeführt, sagte North immer wieder, Befehle, die von Casey oder Poindexter ausgingen und die, so sei er überzeugt gewesen, mit Reagan abgesprochen waren - ob das tatsächlich der Fall war, wird man ab Dienstag von Poindexter hören können. Niemand konnte sich jedenfalls dem Eindruck entziehen, daß hier ein Sündenbock vorgeführt wurde, einer, der den Kopf hinhalten muß, um seine Bosse zu retten. North bestätigte ausdrücklich, daß er das mit William Casey so geplant hatte, doch stehe er dem nun, da er offenbar auch Sonderankläger Lawrence Walsh als einziger zum Fraße vorgeworfen werden solle, anders gegenüber. Kein Wunder, daß North bald die Sympathien auf seiner Seite hatte. Er eroberte die US–amerikanischen Herzen mit seiner gekonnten Rhetorik und Mimik, die er meisterhaft einsetzte, wenn er gelegentlich zu dozieren begann und dem Ausschuß Vorträge über die Unfähigkeit der Contras und über das Versagen des Kongresses hielt, dieser Bedeutung mit ent sprechenden Beschlüssen Rechnung zu tragen. Vor allem demonstrierte er eine ungeheure Schlagfertigkeit. „Entschuldigen Sie, jetzt ist mein Gedächtnis auch im Reißwolf gelandet, können sie Ihre Frage nochmal wiederholen?“ sagte er einmal, als er nach den vernichteten Dokumenten gefragt wurde.North Gegenüber an den ersten beiden Tagen, der Komitee–Anwalt John Nields, konnte ihm da nicht das Wasser reichen. Der Jurist mit dem Knabengesicht und dem Hippie–Haarschnitt bestach allenfalls durch die stoische Beharrlichkeit, mit der er North Allüren konterkarierte und mit der er die Attacken von North Staranwalt ins Leere laufen ließ. Dramatisch war das ganze, bisweilen auch pathetisch, etwa als Oliver North den palästinensischen Desperado Abu Nidal aufforderte, ihm im fairen Duell gegenüberzutreten, anstatt Morddrohungen gegen seine Familie auszustoßen. Draußen, in der Schlange der Wartenden versuchen unterdes sen zahlreiche Reporter, dem Ollie–Phänomen auf die Spur zu kommen. Immer wieder bekommen sie zu hören, daß man überrascht sei, wie gut North sich schlage, wie er selbst auf peinliche Fragen überzeugende Antworten zu liefern wisse. Nur einer der Abiturienten aus Köln sagt ins NBC–Mikrofon, daß man vor allem im Kopf behalten müsse, daß North das Gesetz gebrochen und das Parlament belogen hat. Und Ami Weil, eine junge Frau aus New York, die mehr als sieben Stunden in der Sonne angestanden und in der Zwischenzeit schon drei Radio– Interviews gegeben hat, glaubt, daß das Bild von der Sympathiewelle für North trügt. Es sei immer noch eine Minderheit, die sich allerdings gerade massiv Gehör verschaffe. Schlimm sei, daß der Show–Aspekt für viele Leute soviel wichtiger sei als der Inhalt von North Aussagen. Sie sei gegen die Contra–Politik, und während ihre Freundin den Platz in der Schlange hütete, sei sie in die Büros ihrer Senatoren gegangen und habe dies zu verstehen gegeben. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sitzen zwei Männer und eine blonde Frau auf dem Parkmäuerchen. Sie hat ein Schild vor sich, mit einem Ollie–Foto und groß draufgemalt „Ollie, we love You!“ Sie verneint eine Frage, ob sie nicht auch gern mit im Hearing sein würde. „Es ist wichtiger, unsere Unterstützung hier draußen zu demonstrieren“, meint sie. Was sie denn von der öffentlichen Reaktion halte, fragt der Berichterstatter und fügt hinzu, daß er doch recht überrascht sei, denn North habe ja eigentlich Ungeheuerliches ausgesagt und Gesetzesverstöße zugegeben. Doch sie sieht das anders. Eine Regierung müsse tun können, was sie für richtig halte, manchmal müsse man Regeln übertreten, um größeren Schaden abzuwenden. Früher, in den sechziger Jahren sei sie auch gegen Vietnam auf die Straße gegangen, aber inzwischen habe sie eingesehen, daß eine Nation ihre Stärke nicht bewahren könne, wenn sie auf Samtpfoten daherkomme. North werde vom Untersuchungsausschuß Unrecht getan, der solle sich lieber dessen Vorgesetzte, einschließlich Präsident Reagan, vorknöpfen. Da herrscht dann Einigkeit zwischen Reporter und der Ollie–Bewunderer, und so wird er kurz darauf mit dem üblichen „Nice talkin to You“ verabschiedet.