NS–Ruine soll zum Freizeitzentrum werden

■ 500 Millionen DM wollen Nürnberger Geschäftsleute investieren, um die Kongreßhalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände kommerziell zu nutzen / Übermorgen muß der Nürnberger Stadtrat über das Projekt entscheiden / Grüne legten Alternativ–Antrag vor

Aus Nürnberg Wolfgang Gast

„Worte in Stein“ sollten sie sein, die gigantomanischen Bauwerke, die Hitlers Architekt und Generalbauinspektor Albert Speer auf dem 18 Quadratkilometer großen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ab 1935 errichten ließ. Eines dieser Ungetüme ist die im neoklassizistischen Stil gebaute Kongreßhalle. In den ansteigenden Rängen der Arena sollten 150.000 Personen Platz finden. 1939 war der Bau außen nahezu vollendet; der Marmor war von den Insassen der Konzentrationslager (Flossenbürg) aus den Steinbrüchen geschlagen worden. Innen steht die Kongreßhalle seitdem als ruinenhafter Rohbau. 50 Jahre nach dem Baubeginn wird nun um die Zukunft der Ruinen aus dem Dritten Reich gestritten. Seit etwa einem Jahr verhandelt eine Nürnberger Unternehmensgruppe mit den zuständigen Referaten der Stadtverwaltung. Die Finanzierungsgesellschaft „Congress und Partner“ will den Torso der Kongreßhalle für 99 Jahre pachten und in einem 500 Millio nen Mark teueren Projekt in ein Erlebnis– und Freizeitzentrum für gehobene Ansprüche umwandeln. Geht es nach dem Willen der Planer, die ihr Projekt über ein Jahr klammheimlich mit verschiedenen Dienststellen abgestimmt haben, soll die Kongreßhalle nun ein Freizeitzentrum mit Joggingbahn und Disco, mehreren Schwimmbecken und Squashplätzen, Tennisfeldern und Saunen beherbergen. Ein Hotel mit 350 Betten und Konferenzräumen ist ebenso vorgesehen wie Kinos, Kunstbühnen und ein Fitness–Studio. In dem Hufeisenbau, unter einem überdachten Innenhof, sollen die Kundenströme aus ganz Nordbayern in extravagante Mode– und Delikatessen–Geschäfte wie auch in Bistros mit ausländischer Küche gelockt werden. Die Arkaden stellen sich die Initiatoren des „Erlebnis– und Freizeitcenters“ als Prachtstraße mit exklusiven Ausstellungsvitrinen und Starßencafes vor, in denen die Bewohner eines Seniorenwohnheimes und die Patienten einer Klinik flanieren können. Und last but not least sol len auf dem Dach des Kongreßhallentorsos Penthäuser entstehen, die auch als Hotelsuiten genutzt werden könnten. Größte Sorge der Geschäftsleute „Kongreß und Partner“ ist, daß ihr Projekt in den laufenden Wahlkampf zur Neubestellung eines Oberbürgermeisters im kommenden Oktober geraten könnte. Die Bedenken scheinen hingegen unbegründet. In einer geschichtslosen Naivität stießen die Pläne bei den etablierten Parteien bisher auf wohlwollendes Interesse. Einzig die Fraktion der Grünen und DKP– Stadtrat Herbert Stiefvater hielten sich nach Bekanntwerden der Pläne Anfang März mit einer Stellungnahme zurück. Bedenken äußerten Sozialdemokraten und Christsoziale weniger wegen der historichen Fragwürdigkeit des Projektes. SPD–Oberbürgermeisterkandidat Dr. Peter Schönlein befürchtet ernste Auswirkungen für den Einzelhandel in der City und in der Südstadt. Die mit dem Riesenprojekt verbundenen Verkehrsprobleme müßten geklärt und eine einwandfreie Finanzierung nachgewiesen werden, denn „ein Mißlingen des Projektes würde nicht nur die Kapitalanleger treffen, sondern auch der Stadt und ihrem Ansehen schweren Schaden zufügen“. Schönleins Gegenspieler im Kopf–an–Kopf–Rennen bei der OB–Wahl, der CSU–Kandidat Dr. Günther Beckstein, hält eine Nutzung der Kongreßhalle auch „für prinzipiell richtig“. Für ihn sind aber Alternativen durchaus denkbar, beispielsweise der Ausbau des Torsos zu einem Fußballstadion. Erste Kritik an dem Vorhaben kam ausgerechnet aus dem konservativen München. Oberkonservator Giulio Marano beim Landesamt für Denkmalpflege warnte Ende März die Kommune vor ihrem „sehr gefährlichen Weg“, den die Stadt mit der Verfremdung des NS–Relikts zu einem Konsumzentrum eingeschlagen hat. Für den Fall, daß die Pläne, ein Altenheim einzurichten, realisiert werden, fragt er sich, „Wer soll sich dann in diesen Apartments wohlfühlen? Die alten Kämpfer?“ Gegen den Ausbau der „Immobilie mit Persönlichkeit“ (Motto der Geschäftsleute Congreß & Partner) zieht nun eine kleine Gruppe Nürnberger Antifaschisten zu Felde. Sie forderte die Stadt auf, die Kongreßhalle als „verfallendes Mahnmal“ zu erhalten und eine kommerzielle Nutzung auszuschließen. Unterstützung für ihr Vorhaben fanden sie bei den Nürnberger Grünen und der Vereinigung der Verfolgten des Nazi–Regimes. Am 15. Juli entscheidet nun der Nürnberger Stadtrat über den weiteren Verlauf dieser dubiosen Geschichtsbewältigung. Dem kommunalen Gremium werden zwei Anträge vorliegen: einer der Verwaltung und einer der Grünen. Geht es nach dem Willen des Stadtkämmerers Schmitz, wird aus finanziellen Überlegungen den Vorstellungen der „Kongreß & Partner“ Rechnung getragen. Der Antrag der Grünen dagegen will erst einmal eine geschäftliche Nutzung ausschließen. Über die Zukunft der NS–Relikte soll ihrer Meinung nach ein internationaler Kongreß unter Beteiligung von Verfolgten des NS–Regimes entscheiden.