Garcias Agrarpolitik entscheidet sich in Puno

■ Im peruanischen Hochland richten sich die Landbesetzungen nicht gegen Großgrundbesitzer, sondern gegen bäuerliche Genossenschaften und Agrarkooperativen

Aus Puno Thomas Schmid

Puno, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im peruanischen Hochland, bot ein gespenstisches Bild. Auf allen Gassen brannte es. Hunderte von Feuerstellen legten den Verkehr lahm, und auch auf den umliegenden Hügeln flackerte es. Wie jedes Jahr feierten die 40.000 Bewohner der Stadt am Titicaca–See, die unweit der bolivianischen Grenze liegt, in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch den 24. Juni, den „dia del campesino“, den „Tag des Bauern“. Daß die Bauern, fast ausschließlich Ketschua– und Aymara–Indios, ihren Tag wie überall in Peru mit Feuer feiern, macht hier durchaus einen Sinn. Puno liegt 3.830 Meter über dem Meeresspiegel und die Temperaturen fallen nachts - der Winter hat gerade begonnen - in den Minus–Bereich. Doch in der Provinz Puno sollte der „dia del campesino“ dieses Jahr noch auf eine ganz andere Art gefeiert werden: über 10.000 Familien wollten am Mittwoch früh um zwei Uhr knapp über 300.000 Hektar Land besetzen, hatte der regionale Verband der Campesinos angekündigt. Nun sind Landbesetzungen in Lateinamerika, wo die Besitztitel oft unklar sind, nichts Außergewöhnliches. Doch in Peru sind die Landrechte juristisch kaum umstritten und die Besetzungen richten sich - anders als etwa in Brasilien oder Paraguay - nicht gegen den Großgundbesitz. Diesem hatte die national gesinnte, progressive Militärregierung von Juan Velasco Alvarado, der sich 1968 an die Macht geputscht hatte, das Rückgrat gebrochen: die 1969 eingeleitete Agrarreform wurde 1976 mit der Enteignung der Großgrundbesitzer (mit mehr als 50 Hektar) abgeschlossen. Zwei Jahre später wurde zwar wieder der Besitz von 150 Hektar Landbesitz erlaubt, doch erholten sich die Feudalherren, zumindest im Hochland, von diesem Schlag nie richtig. Enteignetes Land für Agrar–Kooperativen Das enteignete Land, das juristisch in den Besitz des Staates überging, stellte die Regierung zum großen Teil den neugebildeten Agrar–Kooperativen und landwirtschaftlichen Genossenschaften zur Verfügung. Ein kleinerer Teil wurde den „Comunidades“, den bäuerlichen Dorfgemeinschaften der indianischen Bevölkerung übergeben. In der Provinz Puno, in der die Ketschuas und Aymaras noch in diesem Jahrhundert in Revolten immer wieder die Rückgabe der von den spanischen Eroberern geraubten Ländereien forderten, wurden gerade knapp drei Prozent des enteigneten Bodens - 60.000 Hektar - den comunidades zugewiesen. Der Rest - etwa zwei Millionen Hektar - ging an die Kooperativen und Genossenschaften. Und um die Ungerechtigkeit noch zu vervollkommnen, ließ die staatliche Agrarbank ihre Kredite fast ausschließlich den Genossenschaften zukommen, während die Comunidades die indianischen Dorfgemeinschaften, das heißt die übergroße Mehrheit der Landbevölkerung, so gut wie leer ausgingen. Während die Genossenschaften so zumindest über ein Minimum an technischer Ausrüstung, Traktoren und etwas Kapital verfügen, fehlt es den Comunidades an allem. Die große Trockenheit 1983 und die riesigen Überschwemmungen zwei Jahre später, trugen zu einer weiteren Verschärfung der Agrarkrise in Puno bei. Präsident Alan Garcia, der im Juni 1985 sein Amt in Peru übernommen hatte, war sich der Brisanz des Konfliktpotentials im südlichen Hochland durchaus bewußt. Schon im Februar 1986 kündigte er eine Neustrukturierung des Genossenschaftswesens und die Übergabe von über 700.000 Hektar Land an die Comunidades an. Davon dürften - die Angaben schwanken extrem - etwa die Hälfte übergeben worden sein. Die „Comunidades“ fordern ihr Recht „Mit unseren Landbesetzungen“, sagt Juan Rojas, der etwa 35jährige Präsident der regionalen Föderation der Campesinos, FDCP „nehmen wir uns ohnehin nur das, was uns Alan Garcia versprochen hat.“ Doch der Bauernführer macht keinen Hehl daraus, daß sein Verband weiter gesteckte Ziele verfolgt. „Wir verlangen die Auflösung der Kooperativen und Genossenschaften.“ Damit ist die Konfliktlinie zwischen der Bauernvereinigung FDCP, die von der PUM, der stärksten Partei der oppositionellen „Vereinigten Linken“, kontrolliert wird, und der regierenden APRA, einer nationalistisch–populistischen Partei, die der Sozialistischen Internationale nahesteht, abgesteckt. Während die FDCP in den Comunidades eine breite soziale Basis hat, findet die APRA, die historisch eine Partei der Hauptstadt und der Küste ist, im Hochland von Puno ihre wesentliche Stütze in den Verwaltern der Kooperativen und Genossenschaften. Oft Mitglieder einer recht konservativ gesinnten neuen ländlichen Oberschicht. Präsident Alan Garcia, der in vielerlei Hinsicht eine pragmatisch–progressive Politik verfolgt, nimmt in diesem Interessenskonflikt gewissermaßen eine Vermittlerposition zwischen seiner eigenen Partei und den Comunidades ein. Daß der Konflikt zwischen Co munidades und Genossenschaften nicht nur ein Konflikt zwischen der FDCP und den Verwaltern der Kooperativen, sondern auch ein Konflikt zwischen den Bauern der comunidades und den Campesinos der Genossenschaften ist, bestreitet Juan Rojas keineswegs. Doch die Gefahr, daß sich daraus ein Krieg zwischen Bauern entwickeln könnte, schätzt er gering ein: „die Comunidades besetzen zum großen Teil Weideland, das die Kooperativen nicht benutzt haben. Außerdem sind die meisten Genossenschafter Ketschuas und Aymaras wie alle Bauern hier, genauso arm wie die Campesinos der Comunidades. Die Kooperativen werfen schließlich seit langem keine Gewinne mehr ab.“ Auch meine Vermutung, daß der „leuchtende Pfad“, eine maoistische Guerilla mit atavistischen Zügen, aus dem Konflikt politisches und militärisches Kapital schlagen könnte, weist Rojas zurück. Die Guerilla, die den Regierungstruppen in einigen Teilen des Landes seit 1980 einen erbitterten Krieg liefert, war vor zwei Jahren in die Provinz Puno eingesickert. Doch mittlerweile hat sie sich fast vollständig zurückgezogen. „Mit der Geschichte in Salinas hat sie hier den letzten Rest an Glaubwürdigkeit eingebüßt“, behauptet Rojas. Im April dieses Jahres hatten Guerilleros des „Leuchtenden Pfades“ den Bürgermeister von Salinas, einen Ex– Guerillero, der zur parlamentarischen „Vereinigten Linken“ übergewechselt war, gefangengenommen und vor ein Volksgericht gestellt. Obwohl die Dorfversammlung sich gegen die Hinrichtung ihres Bürgermeisters aussprach, wurde er von der Guerilla „liquidiert“. Die Besetzungsaktion vom 19. Mai war erfolgreich Auf der Fahrt von Puno nach Capachica treffe ich am „Tag des Bauern“, eine halbe Jeep–Stunde außerhalb der Stadt, als erstes auf eine Gruppe von Genossenschaftsbauern, die offenbar von ihrer Kooperative vorsorglich an die „Front“ beordert worden sind. Bald danach taucht jedoch die erste „Siedlung“ von Landbesetzern auf. Das noch helle Stroh auf den Dächern der aus Erdziegeln gebauten Hütten verweist auf eine Besetzung jüngeren Datums. „Wir besetzten das Land am 19. Mai“, erklärt eine Ketschua–Bäuerin in gebrochenem Spanisch. Nein, Schwierigkeiten habe es keine gegeben. Am selben Tag noch hätten sie ihre Hütten errichtet, um vollendete Tatsachen zu schaffen. 156 Comunidades - etwa 14.000 Personen - hatten am 19. Mai die Ländereien von 25 Genossenschaften besetzt. Zwei Tage danach wurde Pedro Lauro Ochochoque, ein Campesino, der an der Landnahme beteiligt war, von der Polizei erschossen. Angesichts der kritischen Lage und der Empörung über den Tod des Bauern hatte Landwirtschaftsminister Remigio Morales Bermudez kurz danach den streitbaren Juan Rojas der Bauernvereinigung zu einem Gespräch empfangen. „Er versprach mir, den Vizeminister nach Puno zu schicken, um eine Kommission zu bilden, in die die Campesinos drei Vertreter entsenden sollten und die die Legalisierung der Besetzungen sowie die Lösung der dringendsten Probleme angehen sollte. Doch nichts ist passiert, der Vizeminister hat sich hier nie blicken lassen“, klagt der Bauernführer, den ich auf dem Dorffest im nahegelegenen Huaca treffe. Zahlreiche Campesinos aus umliegenden Comunidades und besetzten Ländereien sind zum Fest gekommen. Die Frauen in farbigen Trachten, mit ihren Filzhüten und den Babies, die sie in Tüchern auf dem Rücken tragen, die Männer weniger pittoresk in Anoraks und oft mit billigen rot–weißen Plastikschirmmützen von Coca–Cola. Am Donnerstag, einen Tag nach der Besetzung am „Tage des Bauern“, treffen im Lokal der FDCP in Puno die erstem Meldungen über den vergangenen Tag ein. Neun Ländereien wurden besetzt, sechs Comunidades wurden geräumt. Sieben Campesinos sitzen wegen der Besetzungsaktion in Polizeihaft und sollen wegen „Terrorismus“ angeklagt werden. Da es Elektrizität und Telefon in den abgelegenen Comunidades, die oft nur in stundenlangen Jeep–Fahrten oder gar nur zu Fuß erreichbar sind, nicht gibt, werden in den nächsten Tagen sicher noch Informationen über Landnahmen in entlegenen Gebieten des Departements, das so groß wie Hessen ist, eintrudeln. Doch der Erfolg vom 19. Mai hat sich offenbar nicht wiederholt. Die Enttäuschung ist den Funktionären und Campesinos im FDCP–Lokal ins Gesicht geschrieben. Vielleicht ist das primäre Problem der Campesinos hier, so mutmaßt eine deutsche Entwicklungshelferin, gar nicht mehr so sehr der Mangel an Land, sondern der Mangel an Kapital, an billigen Krediten, an Saatgut und technischer Ausrüstung. Das Problem zumindest hat auch der Verband der Campesinos längst erkannt. Er peilt auf der Basis der Comunidades die Bildung von „kommunalen Produktionsgemeinschaften“ an. Ob die Regierung aber tatsächlich die Dorfgemeinschaften der Ketschuas und der Aymaras vorrangig fördern will, wie sie zum „Tag des Bauern“ in ganzseitigen Zeitungsinseraten verkündet hat, wird sich an ihrer Bereitschaft ermessen lassen, einen entsprechenden Ressourcen–Transfer vorzunehmen. In der aktuellen wirtschaftlichen Situation geht dies nur auf Kosten der landwirtschaftlichen Genossenschaften und Kooperativen. Und nur gegen den Widerstand starker Strömungen innerhalb der regierenden APRA.