Mischung aus Mausoleum und Gewächshaus

■ Streit zwischen der Stadt München und dem Freistaat um den Neubau der bayerischen Staatskanzlei auf dem Terrain des Hofgartens hält an / Vorläufiger Baustopp durch Denkmalfunde / Städtisches Sperrgrundstück als Objekt der Begierde / Freistaat beantragt Enteignung / Gerichtsentscheid nicht vor Ende des Monats

Aus München Luitgard Koch

Nichts als Ärger mit den Großprojekten scheint der bayerische Landesvater zu haben. Muß er sich in Sachen WAA schon mit den „aufmüpfigen“ Nachbarn, den Österreichern, herumstreiten und immer wieder das Gerede von „selbsternannten Fachleuten“ anhören, so geht es ihm mit dem geplanten Neubau seiner Staatskanzlei nicht viel besser. Sein „Palazzo Prozzo“ ist „grichtsmassig“ geworden und sogar die „Preißn“ vom Berliner Bundesverwaltungsgericht wollen ihm jetzt dreinreden. Fast dreimal so groß wie das „Weiße Haus“ soll der „Bayern– Kreml“ werden, nämlich 18.000 Quadratmeter (Ronnie muß sich mit 6.243 Quadratmetern begnügen), und fertig werden soll er 1990 (geschätzte Bausumme: 172 Millionen DM). Aber: Jeder zweite Münchener ist dagegen, die Stadt prozessiert gegen das „Straußoleum“, die Bürgeraktion „Rettet den Hofgarten“ sammelte knapp 50.000 Unterschriften und selbst aus den eigenen CSU–Reihen werden Bedenken laut. „Die Geschichte wehrt sich“ Bereits zum Baubeginn, im Frühjahr 86, als erstmal 60 Bäume gefällt werden, kommt unter dem Lärm der Motorsägen im Norden des Hofgartengeländes ein Kreuzgewölbe mit Resten von Renaissancemalereien und ein von Leo von Klenze für König Ludwig I. entworfenes Brunnenhaus mit Pumpwerk ans Tageslicht. Beim zweiten Anlauf im August - klammheimlich wollte der Bauherr die Sommerpause nutzen - stoßen die Baggerzähne im Süden des Geländes auf alte Befestigungsmauern, gemauerte Bogenreihen und kleine Türmchen der Wittelsbacher Herzöge. Gerade an diesem Platz ist die Tiefgarage für die neue Regierungszentrale vorgesehen. „Die Geschichte wehrt sich“, jubeln die Gegner der „Hofgartenverschandelung“. Und tatsächlich wird der Bau vorerst gestoppt. Doch der oberste bayerische Denkmalschützer Michael Petzet gibt sich zunächst bedeckt, was den Wert der historischen Funde betrifft. In einem Gutachten vom Oktober 86 läßt der Denkmalschützer dann die Katze aus dem Sack. Das Landesamt für Denkmalpflege hat nichts dagegen, wenn ein Großteil der Funde dem Neubau zum Opfer fällt. Der Oberkonservator gibt dem Bauherrn grünes Licht für den Abriß der oberen Arkaden. Der untere Teil soll im Untergeschoß der Kanzlei verschwinden. Falls die Münchener später das Ganze einmal besichtigen wollten, könnten sie sich ja eine Genehmigung zur Fahrt in die Tiefgarage geben lassen. „Ein Wahnsinnsskandal“, wettert der Münchener SPD–Stadtrat Czisch und vermutet: „Der Denkmalpfleger traut sich aus politischen Gründen nicht für den Erhalt der wertvollen Ruinen eintreten“. Auch Münchens OB Kronawitter (SPD) rüffelt Petzet. Er wirft ihm vor, mit zweierlei Maß zu messen. Als auf dem Stadtsparkassengrundstück Mauerreste gefunden wurden, habe Petzet sofort einen Baustopp angeordnet. Für den staatstreuen Denkmalschützer wird der Fall endgültig peinlich, als ein halbes Jahr später bei einem kunsthistorischen Kolloquium der Bonner Experte Gunter Schweikhart feststellt, bei den Funden handele es sich um ein einmaliges „Hauptwerk der deutschen Renaissance“. „Lex Staatskanzlei“ Die Stadt München kämpft inzwischen vor den Schranken des Gerichts gegen „Neufranzstein“. Vor dem bayerischen Verwaltungsgerichtshof handelt sich die Kommune im Oktober 86 jedoch auch in zweiter Instanz eine Schlappe ein. Der VGH wartet auch nicht, bis über die Bedeutung der Denkmalfunde endgültig Klarheit herrscht, sondern entscheidet: Die Stadt ist nicht in ihrer Planungshoheit verletzt, und das Projekt entspricht dem von ihr aufgestellten Bebauungsplan, der auch durch die historischen Funde nicht unwirksam wird. Eine Revision gegen diese Entscheidung will der VGH nicht zulassen. „Die Landeshauptstadt soll ihre parteigebundene Blockadepolitik gegen den Neubau endlich aufgeben“, tönt es danach sofort aus der Staatskanzlei. Doch Anwalt Helmut Roithmaier denkt nicht daran, aufzugeben. Er will beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin eine Nichtzulassungsbeschwerde einreichen. Außerdem hat die Stadt immer noch einen Trumpf in der Hand. Ihr gehört nämlich ein rund 144 qm großes Sperrgrundstück auf dem Gelände, das man trotz lukrativer Angebote seitens des Freistaats nicht mehr verkaufen will. Mit diesem „Schickanierfleckerl“, ohne das der Nordflügel der Staatskanzlei nicht gebaut werden kann, hat es seine Bewandtnis. Da die Enteignungsbehörde in der Landeshauptstadt ihren Sitz hat, müßte sich die Stadt im Auftrag des Freistaats selbst enteignen. Aber im Freistaat hat man für derart „knifflige Fälle“ - nicht zum ersten Mal - ein Rezept: Gesetzesänderung. Anfang November beschließt der Bayerische Ministerrat eine Änderung zum Bundesbau– und Städtebauförderungsgesetz. Bei Enteignungs– und Entschädigungsverfahren in Bayern sollen künftig kreisfreie Gemeinden dann nicht mehr zuständig sein, wenn sie selbst betroffen sind. Seit über zehn Jahren wurden Enteignungen von den jeweiligen Kreisverwaltungsbehörden vorgenommen. Ähnlich wie bei der „Lex Schuierer“, mit der im Zusammenhang mit der WAA–Diskussion die Landräte plötzlich ausgeschaltet und das „Selbsteintrittsrecht“ der Regierung bei Großprojekten geschaffen wurde, will die Staatsregierung mit der neuen Enteignungsregel den Widerstand der Stadt brechen, kritisiert der stellvertretende Vorsitzende der SPD–Landtagsfraktion Rolf Langenberger. Staatssekretär Heinz Rosenbauer aus dem Innenministerium will von einer „Lex Staatskanzlei“ natürlich nichts wissen. Selbst er gibt aber zu, daß das Thema Hofgarten dabei nicht ohne Bedeutung war. „Spiegelkabinett“ Im Dezember 86 veranstaltet die Stadt München für 400.000 Mark ein Entwurfsseminar mit sieben anerkannten Architekten aus München, London und Berlin, um dem Freistaat Alternativen anbieten zu können. Vertreter der Staatskanzlei, des Denkmalamts sowie die CSU–Stadtratsfraktion nehmen daran nicht teil. Während die Bagger weiterwühlen, kommen die Experten zu der einhelligen Meinung: „Der Staatskanzleineubau im Hofgarten wäre eine städtebauliche Todsünde“. Sie schlagen als Alternativstandort das benachbarte Marstallgelände vor. Aber Strauß bleibt ungnädig und beschimpft weiterhin die Kritiker. Die Ausweichmöglichkeit auf das Marstallgelände bezeichnet er als „politisches Niemandsland“. Nach dem Entwurfsseminar kommt sogar die Rathaus–CSU zur Einsicht und bittet Strauß–Adlatus Stoiber doch wenigstens die „Flügel des Gebäudes zu stutzen“. Aber der hat inzwischen „eine architektonische Steigerung“ parat. Eine Spiegelfassade soll der „Prunkbau“ bekommen, um das Monster optisch zu verniedlichen. An dem Bauvolumen selbst hat sich nichts geändert. Für diese „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ kann sich sogar der CSU–Fraktionsvorsit zende im Münchner Rathaus, Walter Zöller, nicht erwärmen. „Die Spiegel sind absurd und total unangemessen“, protestiert ebenfalls der CSU–Abgeordnete Erich Schosser. „Eine Mischung aus Mausoleum und Gewächshaus“, so der Grünen–Landtagsabgeordnete Hartmut Bäumer, „Spiegelkabinett“, spottet die SPD. Da macht Stoiber einen Rückzieher: „Auf Spiegel sind wir noch nicht festgelegt, wir denken eher an getöntes Glas“. „Macht der Arroganz“ „Über den Standort ist mit der bayerischen Staatsregierung nicht zu sprechen“, so Stoiber im Landtag. Egal wer den Bau im Hofgarten kritisiert, er wird von der Regierung verbal „abgewatscht“. Diese Erfahrung macht auch der eher konservative Politikprofessor Kurt Sontheimer. Auf einer Protestveranstaltung der Bürgerinitiative „Rettet den Hofgarten“ auf dem Marienplatz spricht er von der „Arroganz der Macht“ und fordert einen offenen Dialog zwischen Stadt und Staat. Stoibers Retourkutsche: Der Professor folge „nicht einmal den einfachsten Regeln klaren Denkens“. Der Ruf nach einer Denkpause kommt immer mehr auch aus dem rechten Lager. Im Senat kritisiert der Landshuter CSU–Bürgermeister und Vorsitzende des bayerischen Städtetags die Neubaupläne. Außerdem erinnere ihn die Kuppel des Armeemuseums - die Seitenflügel der neuen Staatskanzlei sollen diese „Pickelhaube“ einrahmen - an die „Hauptstadt der Bewegung“. Diese Assoziation bezeichnet Stoiber als „unzulässig“. Inzwischen beantragt der Freistaat die Enteignung des städtischen Sperrgrundstücks. Obwohl die Stadt dagegen prozessiert, kann die Regierung von Oberbayern das Grundstück mit einer „vorläufigen Besitzeinweisung“ dem Freistaat übergeben. Anfang Juni jedoch wird der Bau durch zwei Gerichtsurteile nochmals gestoppt. Zum einen läßt das Bundesverwaltungsgericht in Berlin eine Revision der Stadt gegen die Baugenehmigung zu und fordert den Freistaat auf, mit den Bauvorarbeiten bis zum Abschluß des Revisionsverfahrens, voraussichtlich im Herbst, zu warten. Kurz darauf entscheidet auch die Baulandkammer des Münchener Landgerichts, auf dem der Stadt München gehörenden Sperrgrundstück dürfen lediglich Ausgrabungsarbeiten zur Sicherung der Denkmäler durchgeführt werden. Das endgültige Urteil, ob die Stadt enteignet wird, ergeht jedoch erst Ende Juli. Landesvater Strauß ist dadurch aber nicht zu beeindrucken. Sein großzügiges Angebot an die Stadt: wenn sie ihren Rechtsstreit beendet, werde man die Arkaden erhalten. Daß nach Artikel 141 der Bayerischen Verfassung Denkmäler sowieso zu schützen und zu pflegen sind, scheint der Ministerpräsident dabei übersehen zu haben. Außerdem würde ein Abriß der Arkaden eine Lawine von Abbruchgenehmigungen auslösen, weil sich dann Privatleute und Kommunen auf den staatlichen Bauherrn berufen könnten.