Exotisches Austria?

■ Der bequeme Antisemitismus im Nachbarland

Es hat doch etwas Angenehmes, wenns andere erwischt. Man kann sich bequem im Fernsehsessel zurücklehnen, über die antisemitischen Tiraden im benachbarten Österreich aufregen, und beruhigt denken - bei uns könnte so etwas nicht passieren. In der Tat ist es schwer vorstellbar, daß etwa der Oberbürgermeister von Hintertupfingen an Edgar Bronfmann vom Jüdischen Weltkongreß einen polemischen Brief schickt, wie es Carl Hödl aus Linz getan hat, in dem er den „Christusmord“ durch die Juden heraufbeschwört, und trotzdem nicht abdanken muß. Das trotzige Aufbegehren „Jetzt erst recht“, das nach den Angriffen auf Waldheim zu dessen Wahl erheblich beigetragen hat, wäre hier in der Tat vorstellbar. Damit endet aber auch schon die Liste des hier Undenkbaren, des für Österreich Besonderen. Denn wenn sich ein ÖVP–Politiker auf die US–amerikanische „watch list“ setzen lassen möchte, weil er „sich das nicht mehr bieten lassen will“, weil er nicht mehr „das Taferl des Kriegsverbrechers“ umgehängt haben will, dann sind das Töne, die auch hier durchaus nicht fremd klingen. Erinnerungen Deutscher an das Dritte Reich sind noch immer Erinnerungen an das zerbombte Haus, an den Hunger. Nicht das Unrecht, das Juden, Linken oder Schwulen angetan wurde, hat sich in ihr Gedächtnis eingegraben, sondern das Gefühl, der eigenen Jugend beraubt worden zu sein, es schwer gehabt zu haben. Wer sich aber in der Erinnerung nur als Opfer sieht, könnte der nicht eines Tages aus Opfern wieder Täter werden lassen? Antje Bauer