Doch Freitod statt Neonazi–Mord?

■ Staatsanwaltschaft hält das Rätsel um den Tod eines SPD–Kommunalpolitikers aus Bergkamen für weitgehend gelöst / In einem Brief widerrief der Lehrer die Bedrohung durch Neo–Nazis / Leiche am Dienstag gefunden

Von Petra Bornhöft

Unna/Bochum (taz) - Aus der Sicht der Staatsanwaltschaft ist der rätselhafte Tod des SPD–Kreistagsabgeordneten Heinz–Dieter Becker (43) aus Bergkamen nahezu aufgeklärt. Die Ermittlungsbehörden gehen jetzt davon aus, daß es sich um Selbstmord gehandelt hat. Der Politiker war am Dienstag tot aufgefunden worden. Wenige Tage zuvor hatte er öffentlich erklärt, von Faschisten bedroht worden zu sein. Deshalb sprach zunächst sehr viel für einen Mord durch Kreise der Neonazi–Szene. Doch gestern nachmittag präsentierten die Ermittlungsbehörden gegenüber Journalisten ein Schreiben Beckers, in dem dieser seine Behauptung, er sei letzte Woche von Neonazis entführt worden, selbst widerrufen hatte. Dieses Schreiben übergab Becker, so Oberstaatsanwalt Klaus Schacht, „am Abend vor seinem Tod einem Freund mit der Bitte, den Brief an die Polizei weiterzuleiten, wenn ihm was passiere“. Mehrere Stunden bevor die Kripo am Dienstag den Brief erhielt, fanden Polizeibeamte die Leiche des 43jährigen, an einen Baum gefesselt und mit einem roten Hakenkreuz auf der Brust. Der Obduktion zufolge habe Becker ein „narkotisierend wirkendes Mittel eingeatmet“ und sei unter einer über den Kopf gestülpten Plastiktüte erstickt. Spuren fremder Gewaltanwendung fanden die Gerichtsmediziner nicht. Eine Rekonstruktion des Falls ergab gestern, daß auch die zunächst rätselhaft erschienene Selbstfesselung Beckers möglich gewesen sei. Allerdings setzte die Staatsanwaltschaft noch am Montag 3.000 DM Belohnung aus für Hinweise auf die mutmaßlichen Täter. Auch Walter Hölscher, Vorsitzender des Bergkamener SPD–Stadtverbands, in den Becker 1981 eingetreten war, äußerte Zweifel an der Neonazi–Version: „Becker ist sicherlich nicht mit irgendetwas politsch beschäftigt gewesen, das Rechtsradikalen einen Grund gegeben hätte, ihn umzubringen.“ In dem gestern bekannt gewordenen Schreiben formulierte Becker eine nach Ansicht der Staatsanwaltschaft „ebenso unwahrscheinliche Version“. Mit den Worten „Dein Sohn ist entführt“, hätten Unbekannte den Vater zweier Söhne aus dem Haus gelockt, in einem Auto betäubt und später stundenlang an einen Tisch gefesselt. Zwei Maskierte wollten Becker nach dessen Angaben zwingen, als Geldbote zwischen ihnen und Kommunalpolitikern zu fungieren. Diese wolle man wegen ihrer Bestechlichkeit erpressen. Gegenüber der Polizei indes solle Becker die Neonazi–Version erzählen. „Warum sollten diese Leute Becker töten“, fragt Staatsanwalt Schacht, „er hat doch alles so gemacht, wie sie es wollten.“ Daß der Berufsschullehrer sich möglicherweise in ein „unentwirrbares Lügengebäude verstrickt“ und mit Rücksicht auf seine Familie einen Mord konstruiert haben könnte, schließen die Ermittlungsbehörden aus einem Satz in dem Brief: „Ich weiß nicht mehr weiter. Irgendwann muß ich Farbe bekennen.“