Jugoslawien: Maulkorb für die Presse ?

■ Nach der Ankündigung der Parteiführung der jugoslawischen KP, die Presse stärker an die Zügel zu nehmen, befürchten Journalisten einschneidende Veränderungen / Jugoslawiens politische Führung weigert sich beharrlich, auf einen Reformkurs einzuschwenken

Aus Belgrad H. Hofwiler

Die Parteiführung der jugoslawischen KP in der parteinahen Presse als eine Schar von Erstklässlern zu beleidigen, sei ja schon ein starkes Stück, empörte sich die Parteifunktionärin Dara Janekovic auf einer Sitzung der regierenden „Volksfront“ am späten Mittwoch abend in Belgrad. Aber daß die, die für solch vulgäre Äußerungen verantwortlich sind, gar nicht zur Rechenschaft gezogen würden, sei ein handfester Skandal. Dem pflichtete ihr Kol lege Savo Krzavoc nur bei: Wer hätte das vor Jahren für mögliche gehalten, daß die Presse im Vielvölkerstaat eines Tages die Errungenschaften der sozialistischen Revolution, der jugoslawischen ebenso wie die der sowjetischen, lächerlich machen würde. Es sei ja richtig, Stalins Greuel beim Namen zu benennen, aber den Leninismus in Frage zu stellen, ginge zu weit. Und unter Beifall ergänzte der Politiker: „Denn eine Kritik an Lenin bedeutet unverzüglich eine Kritik an Tito, und das lassen wir nicht zu, denn beide sind die großen Männer des Kommunismus.“ Und wie es sich für jugoslawische Kommunisten gehört, beschlossen die Genossen einstimmig, die Presse müsse in Zukunft stärker an die Zügel genommen werden. Mit welchen Mitteln die „sozialistische Volksfront“, eine kommunistische Massenorganisation, der das gesamte Pressewesen unterliegt, das erreichen will, verrieten die gestrigen Zeitungen nicht. Journalisten und Schriftsteller befürchten einschneidende Veränderungen. Einer von ihnen, Ilja Moljkovic, zur taz: „Noch dieser Maulkorb und unser System unterscheidet sich nicht mehr von dem sowjetischen, worauf unsere KP einst soviel Wert legte. In Osteuropa kommt es zu Reformen, bei uns nimmt die Wirtschaftskrise katastrophale Ausmaße an, ist die Einheit des Staatsgebildes durch nationale Spannungen ernsthaft bedroht - doch kein einziger Politiker wird zur Rechenschaft gezogen.“ Ausländische Beobachter wundern sich bereits seit einiger Zeit, mit welcher Beharrlichkeit sich die Partei vor Reformen verschließt. Anders als in der DDR, wo dem Zeitungsleser eingebläut wird, Reformen seien überflüßig, da man das schon erreicht habe, was Gorbatschow anstrebe, wird in den jugoslawischen Medien die Meinung vertreten, es sei an der Zeit, Demokratisierungstendenzen aus Moskau und Wirtschaftsexperimente aus Budapest zu übernehmen. Doch Belgrad scheint sich nicht darum zu scheren. Die Politiker zeigen ihre kalte Schulter selbst gegenüber dem augenblicklichen Sommerhit - einem Politsong, in dem es heißt: „Ich verspüre keine Lust, Mitglied der Mafia zu sein und deren Mitgliedsfesseln zu besitzen, nein, ich würde die Mafia– Bosse direkt zu den Arbeitern an die Drehbank stecken.“ Jeder Jugoslawe versteht, daß mit „Mafia“ die „Kommunisticki Patia“ gemeint ist.