I N T E R V I E W Rau verteidigt Braunmühl–Brüder

■ Der stellvertretende SPD–Vorsitzende zu den Attacken des Generalbundesanwalts auf die Braunmühl–Brüder und ihren Dialogversuch mit der RAF

taz: Generalbundesanwalt Rebmann hat vergangene Woche auf seiner Halbjahres– Pressekonferenz die Braunmühl–Brüder wegen ihrer Bereitschaft zum Dialog mit der RAF heftig kritisiert. Herr Ministerpräsident, Sie haben den Brüdern genau wegen dieses Dialogversuchs vor kaum zwei Monaten den Gustav–Heinemann–Preis überreicht. Was sagen Sie zu Rebmanns Kritik? Johannes Rau: Es ist ungewöhnlich, daß der Generalbundesanwalt, dessen Aufgaben genau beschrieben sind, sich in politische Diskussionen dieser Art hineinbegibt. Nach meiner Überzeugung hat er weder die beiden Briefe der Brüder–Braunmühl genau gelesen, noch die Rede zur Kenntnis genommen, die einer der Brüder bei der Verleihung des Preises gehalten hat. Ich bin nach dieser Rede noch stärker davon überzeugt, daß es richtig war, diesen Preis den Braunmühl–Brüdern zu überreichen. Denn der Versuch, diejenigen öffentlich anzusprechen, die privat unerreichbar sind und die in der Gefahr sind, dem Terror den Weg zu bereiten, ist auf jeden Fall auszeichnungswert. Ist es nicht Ausdruck einer schlechten Gewohnheit, die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus weitgehend der Generalbundesanwaltschaft, der Justiz und der Polizei zu überlassen. Denen fällt natürlich, ihrem Berufsbild entsprechend, nur noch Kronzeugenregelung und Vermummungsverbot als taugliches Mittel der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ein. Ist das nicht Ergebnis eines Mangels an politischer Auseinandersetzung der Parteien mit dem Problem? Dieser Vorwurf gilt sicher nicht für alle. Denken Sie einmal an Gustav Heinemann, seine Fernsehansprache nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, seinen Brief an Ulrike Meinhof, als sie in Stammheim saß. Denken Sie auch an die vielen Bemühungen von Heinrich Albertz, das Gespräch zu suchen, ohne die Grenzen zu verwischen. Aber es ist schon richtig, daß die politische Auseinandersetzung mit den Motiven derer, die wahrscheinlich heute gar keine politische Motivation mehr haben, früher hätte einsetzen müssen. Bei der Preisverleihung sagten Sie sinngemäß und wohl auch ein bißchen selbstkritisch, daß der Weg, den die Braunmühl– Brüder mit ihren Offenen Briefen gegangen sind, vielleicht der bessere Weg der Auseinandersetzung mit der RAF sei. Was folgt daraus für den Ministerpräsidenten politisch? Liberale Rechtspolitik ist die Konsequenz dessen, was ich da gesagt habe. Der Staat muß Gewalt anwenden, wo das nötig ist, aber er muß es angemessen tun. Das ist nicht immer geschehen. Hier gibt es auch Anlaß nachzudenken über das, was sich in den letzten Jahren vollzogen hat. Nach meiner Überzeugung ist das Wichtigste die Glaubwürdigkeit des Staates. Er darf auch nicht davor zurückschrecken, der Gewalt in den Arm zu fallen. Aber die Argumentation ist wichtiger als solches Handeln. „Kehrt um, kommt zurück“, hatten die Braunmühl–Brüder in ihrem offenen Brief geschrieben. Können Sie sich vorstellen, daß so etwas in ein politisches Projekt einer Versöhnung der Gesellschaft mit den gescheiterten Militanten der RAF umzusetzen ist? Ich bin nicht sicher, wie das im Leben eines jeden Einzelnen aussieht. Wir müssen dem Terrorismus eine klare Absage erteilen, und wir müssen den Terroristen sagen, daß es keine Straffreiheit geben kann, auch nicht über die Kronzeugenregelung. Aber die Gesellschaft muß ihre Menschlichkeit auch gegenüber denen erweisen, die zurückkehren. Auch in Nordrheinwestfalen sitzen ja Politische im Gefängnis. Auch solche, die längst mit der Politik der RAF gebrochen haben. Können Sie sich politische Signale in ihrem Bundesland vorstellen, die die Aufforderung „Kehrt um, kommt zurück“ unterstützen? Signale auch für diejenigen, die als Strafe lebenslänglich zu erwarten haben oder die bereits dazu verurteilt sind? Auch für sie eine Perspektive außerhalb des Knastes anzubieten? Ich bin als Ministerpräsident da nicht der einzige Ansprechpartner. Hier gibt es ein Gnadenrecht, von dem ich glaube, daß es gegenüber dem Gnadenrecht der 50er und 60er Jahre besser und menschlicher ist. Dieses menschlichere Gnadenrecht begrenzt die Möglichkeiten eines Regierungschefs, und darum fände ich es nicht gut, wenn ich mich zu diesem Thema äußerte. Interview: Max Thomas Mehr