Das Ende eines Schulversuchs

■ Schulversuch zur Integration behinderter Kinder in Rheinland–Pfalz fällt ideologischem Rotstift zum Opfer / Eltern und Lehrer fordern die Fortsetzung des gemeinsamen Unterrichts

Aus Mainz Felix Kurz

Morgen endet in Rheinland–Pfalz das Schuljahr 86/87. Für die Schüler der 4.Klasse des Schulversuchs „Gemeinsamer Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern in der Grundschule“ der Mainzer Hartenbergschule bedeutet dies das Aus ihrer bisherigen Schullaufbahn. Behinderte und Nichtbehinderte, die über sieben Jahre lang - davon drei im Kindergarten und vier Jahre in der Grundschule - gemeinsam leben und lernen konnten, werden für das kommende Schuljahr nach dem Willen des Kultusministeriums wieder getrennt und sortiert in die einzelnen Schultypen verteilt. Das alles geschieht gegen den Willen der Schüler, der Eltern und auch des Leiters der Wissenschaftlichen Begleitung des Schulversuchs, Dieter Kroppenberg. In der Sekundarstufe I sollten Körper– und Lernbehinderte gemeinsam mit nichtbehinderten Schülern in einer Klasse wie bisher unterrichtet werden. Verwirklicht werden sollte die Maßnahme im Rahmen einer integrierten Gesamtschule, wie das schon in Hamburg und Nordrhein–Westfalen geschieht. Die Vorteile einer solchen Erziehung überwiegen nach Meinung von Annette Schnabel, der rheinland–pfälzischen Landessprecherin der Arbeitsgemeinschaft „Gemeinsam leben - gemeinsam lernen“, schwer. So lernen die Kinder „hier die Selbstverständlichkeit im Umgang mit den Besonderheiten anderer“, sagte sie zur taz. Dabei fällt für die Betroffenen nicht so sehr die Trennung der Klassengemeinschaft ins Gewicht als vielmehr die Kasernierung der behinderten Schüler in den Sonderschulen. „Immer unter ihresgleichen, wie sollen die Kinder denn darüber hinwegkommen?“, fragen sich die Eltern. Dabei geht es ihnen nicht „um die bloße Integration, um die Behinderung zu überwinden“. „Die kann man nicht überwinden“, so Annette Schnabel, „aber man kann natürlicher mit ihr umgehen.“ Dieter Kroppenberg hat in seinem Bericht an das Kultusministerium die Beendigung des integrativen Lernens als „unpädagogisch“ bezeichnet. Die Kinder würden wieder in eine „völlig andere Situation gezwungen“. Das rheinland–pfälzische Kultusministerium begründet das Ende der Maßnahme mit der „mangelhaften wissenschaftlichen Begleitung“ durch Kroppenberg. Doch den Vorwurf gibt der Gescholtene zurück. Kroppenberg hatte schriftlich, das letzte Mal am 26.2.87, die ungenügende personelle Ausstattung der wissenschaftlichen Begleitung des Versuchs, der insgesamt sechs Schulklassen in Mainz und Trier umfaßt, moniert. So mußte er selbst auch noch unterrichten. Den gleichen Vorwurf an die Adresse des Kultusministers hatte schon 1984 seine Vorgängerin, Prof. Ursula Haupt, erhoben. Das Ministerium hatte den Versuch lediglich mit je einer halben Stelle für den Leiter des Versuchs und für eine Schreib– und Verwaltungskraft ausgestattet und die Bezahlung von zwei bis drei Wochenstunden für studentische Aushilfskräften übernommen. Die Antwort des Ministeriums, das „offenbar zum Nulltarif“ den Versuch wollte, so Kroppenberg, fiel geharnischt aus. „Er hätte schließlich die Gelegenheit gehabt“, so der Ministerialrat Ruf, „von der Aufgabe als Leiter der wissenschaftlichen Rahmenbedingungen Abstand zu nehmen.“ Kultusminister Georg Gölter, ohnehin nicht zimperlich, schilt den Pädagogen inzwischen sogar der Unfähigkeit. Rheinland–Pfalz ist das erste Bundesland, das aus dem Schulversuch mit der Integration behinderter und nichtbehinderter Schüler nach der Grundschule aussteigt. Doch auch andere CDU– Bundesländer haben offenbar kein Interesse an solchen Projekten, von denen sie vermuten, daß dadurch die von ihnen so bekämpfte Gesamtschule schleichend eingeführt werden könnte. Statt dessen setzt man in den christdemokratischen Ländern auf die Schaffung von Eliteklassen. Für Annette Schnabel „gehört natürlich der politische Wille dazu. Aber das paßt denen nicht ins Konzept, und schon gilt der Elternwille nichts mehr.“ Unterstützung finden Eltern und Schüler inzwischen bei SPD und Grünen. Auch die mitregierende FDP will den Fall noch einmal prüfen. Im Mainzer Stadtrat waren allerdings alle Parteien einschließlich der CDU für die Fortführung des Versuchs.