Unser Mann

■ Ein Sozialdemokrat soll Daimler–Chef werden

„Kann man mit imitiertem Fachwerk die lange Öde abendlicher Kaufhausfronten reurbanisieren? Wer hat für die vielleicht wirklich sinnvolle Begrünung von Dächern schon eine ästhetische Idee?“ Diese Fragen formulierte nicht ein postmoderner Städtebauer - sie kamen aus einem völlig anderen Ressort. Edzard Reuter, der Sohn des legendären Berliner Nachkriegsbürgermeisters Ernst (“Schaut auf diese Stadt!“), formulierte sie kürzlich im Rahmen einer Veranstaltung „Berliner Lektionen“. Reuter liebt (in Grenzen) das öffentliche Räsonnement, anders als die meisten seiner auf Unberührbarkeit erpichten Kollegen. „Man kann ein Unternehmen nicht christlich oder sozialdemokratisch führen, sondern nur gut oder schlecht“, hat er über den Geist der Wirtschaft notiert. Fortan wird sich der 59–Jährige, wenn er heute zum Herrn über 320.000 Beschäftigte im größten deutschen Industriekonzern aufsteigt, dessen Produktpalette vom Satelliten über Autos bis zu Nierensteinzertrümmerern reicht, von der Creme der Managerszene daran messen lassen müssen. Zweimal glaubten die feinen Leute von der Deutschen Bank, die im Aufsichtsrat das Sagen haben, den Mann mit dem roten Hautgout übergehen zu können. Dennoch hat Reuter als als Architekt des Superkonzerns unterm großen Stern seine Unvermeidbarkeit bewiesen. Daß ihm bis zur Pensionsgrenze nur noch fünf Jahre bleiben, wird in der einschlägigen Presse beinahe erleichtert zur Kenntnis genommen. Reuter könnte nämlich der Typus des neuen Managers für die 90er Jahre sein, der mehr als simple Profitmaximierung im Auge hat. SeineMaxime moderner Unternehmensführung lautet, daß „wir uns gleichrangig gegenüber den Kapitalgebern, gegenüber der Belegschaft und gegenüber der Umwelt verantwortlich fühlen und danach handeln“. Hoffnungen setzen deshalb in seine Person, eine Mischung aus Mark Wössner (Bertelsmann) und Philip Rosentahl, nicht nur die Betriebsräte der diversen Daimler–Divisionen, sondern auch jenes „kulturelle Milieu“, von dem sich Reuter jene Dynamik verspricht, die die Erosion verinnerlichter Arbeitsmoral ersetzen soll. „Die permanente Rekonstruktion der instrumentel–praktischen Vernunft“, die „Denunziation der herrschenden Unvernunft“, klagt Reuter häufig ein, in den Denkkategorien seiner Lieblinsautoren Kant und Popper. Wird er sein Primat der Offenheit (Stichwort Teststrecke, Subventionen, Daimler unterm Hakenkreuz)gegen sich selbst, aber auch gegen seinen Königsmacher, Alfred Herrhausen von der Deutschen Bank, durchsetzen können?. bmm McCASH FLOWS ORAKEL